Oksana Lyniv – Herzlich willkommen in Graz

Chefdirigentin der Grazer Oper Oksana Lyniv (Foto Werner Kmetitsch)Oksana Lyniv – Ihre Musik ist eine Sprache ohne Worte. Herzlich willkommen, Oksana Lyniv, steht auf vielen Plakaten in Graz. Und herzlich willkommen hieß die neue Chefdirigentin der Grazer Oper auch ein begeistertes Publikum bei ihrem Eröffnungskonzert.

Oksana Lyniv dirigierte bei ihrem Eröffnungskonzert in Graz sehr anspruchsvolle Werke wie „Mazeppa“ von Franz Liszt, Béla Bartóks 2. Violinkonzert mit dem virtuosen Ukrainer Valeriy Sokolov und Robert Schumann’s Symphonie Nr. 2 (Foto Werner Kmetitsch)
Oksana Lyniv dirigierte bei ihrem Eröffnungskonzert in Graz sehr anspruchsvolle Werke wie „Mazeppa“ von Franz Liszt, Béla Bartóks 2. Violinkonzert mit dem virtuosen Ukrainer Valeriy Sokolov und Robert Schumann’s Symphonie Nr. 2 (Foto Werner Kmetitsch)

Fasziniert hörte es sich anspruchsvolle Werke an wie „Mazeppa“ von Franz Liszt, Béla Bartóks 2. Violinkonzert mit dem virtuosen Ukrainer Valeriy Sokolov und Robert Schumann’s Symphonie Nr. 2. Faszinierend fand ich, wie die zierliche Dirigentin mal mit strengen und dann wieder unglaublich weichen Gesten die hoch motivierten Grazer Philharmoniker führte. Sehr gut standen der 39-Jährigen ihr schwarzer Frack mit rostrotem, seidenem Taillenbund.

Willkommen Oksana Lyniv! stand auf den Plakaten rund um die Grazer Oper (Foto Hedi Grager)
Willkommen Oksana Lyniv! stand auf den Plakaten rund um die Grazer Oper (Foto Hedi Grager)

Es war gerade einmal eine Woche her, als Oksana Lyniv sich in Graz niederließ und sich sich Zeit für ein Gespräch mit mir nahm. Auf meine Frage, wie ihre erste Woche in Graz aussah, lächelte sie. „Es gab schon viele Proben mit dem Orchester für das Wiener Gastspiel mit Stücken von Liszt, Mahler und Schumann und für La Traviata bin ich ohne Probe eingesprungen, das Stück war schon vorbereitet und ich habe es während der Vorstellung interpretiert – das ist natürlich etwas anderes, als ein Stück von der ersten Probe bis zur Aufführung zu leiten. Aber es sind unglaublich professionelle und hoch motivierte Musiker. Es ist sehr interessant zu sehen, wie sich unsere Zusammenarbeit entwickelt.“ Und wie entwickelt sie sich, frage ich neugierig. „Sehr gut. Es ist schön zu sehen, wie neugierig sie auf musikalische Ideen sind. Das Gastspiel in Wien war unsere erste Prüfung. Alle drei Stücke zählen zu meinen Lieblingsstücken und ich hatte großes Vertrauen in unser Orchester. Alle spielten mit großer Leidenschaft und reagierten aufmerksam auf meine Vorschläge.“

Das Orchester der Grazer Oper hieß ihre neue Chefdirigentin Oksana Lyniv herzlich willkommen (Foto Werner Kmetitsch)
Das Orchester der Grazer Oper hieß ihre neue Chefdirigentin Oksana Lyniv herzlich willkommen (Foto Werner Kmetitsch)

Sind das gegenseitige Vorschläge, frage ich weiter, oder ist das nicht üblich? „Nicht wörtlich“, schmunzelt die Dirigentin leicht, „aber ich gebe ihnen meine Ideen zu einem Stück oder einer bestimmten Stelle und höre dann, was von den Musikern zurückkommt, wie sie etwas umsetzen. Ich freue mich natürlich sehr, wenn dieser Dialog entsteht, ich keine mechanische Umsetzung höre, sondern wenn die Musiker meine Ideen aufnehmen, aus einem künstlerischen Impuls heraus. Denn dann entsteht so etwas wie ein Idealfall der Musik als eine Sprache ohne Worte.“ Diese Kommunikation funktioniert wahrscheinlich umso besser, je länger man miteinander arbeitet und die gegenseitigen Erwartungen kennt? „Ja genau. Natürlich ist es jetzt eine Umstellungsphase für das Orchester, denn Dirigenten sind sehr individuell.“ Hängt das auch damit zusammen, dass sie eine Frau sind, möchte ich wissen. „Nein, das glaube ich nicht. Jeder neue Dirigent hat aber ein anderes Temperament, eine andere Körpersprache, seine eigene Art zu arbeiten.“  

Journalistin und Bloggerin Hedi Grager traf die sympathische Grazer Chefdirigentin Oksana Lyniv ein paar Tage vor ihrem Eröffnungskonzert (Foto privat)
Journalistin und Bloggerin Hedi Grager traf die sympathische Grazer Chefdirigentin Oksana Lyniv ein paar Tage vor ihrem Eröffnungskonzert (Foto privat)

Grazer Spielplan 2017/18 
Haben Sie alle Stücke für den kommenden Spielplan selbst ausgesucht, möchte ich von Oksana Lyniv wissen. „Nein, die Stücke standen ja schon fest, das konnte ich nicht mehr ändern. Ich selber habe fast 30 Auftritte abgesagt, um die Stelle als Chefdirigentin an der Grazer Oper annehmen zu können.“ Hätten sie andere Stücke genommen? Oksana Lyniv lacht. „Nein, nein, warum? Il Trovatore habe ich in Odessa schon mehrmals dirigiert und ich liebe Verdi. Aber Tschaikowsky reizt mich noch mehr, weil Eugen Onegin ein Meisterstück ist und ich es noch nie dirigiert habe. Ich glaube, ich kann das sehr gut machen, ich habe ja schon Jolanthe, Tschaikowskys letzte Oper, dirigiert. Natürlich liebt jedes Publikum das besonders, was es kennt. Aber das Grazer Publikum ist sicher offen und neugierig auf Neues und deswegen freue ich mich, dass noch Ariane et Barbe-Bleue kommt, ein Raritätsstück. Ich liebe diese Herausforderung, mit unbekannten Werken einen interessanten Abend zu gestalten: musikalisch, dramaturgisch, theatralisch. Ich bin gespannt auf die Emotionen und Reaktionen des Publikums.“ 

Ariane et Barbe-Bleue ist eines der Stücke - ein Raritätsstück - auf das sich das Grazer Publikum in der heurigen Spielzeit freuen darf (Foto Werner Kmetitsch)
Ariane et Barbe-Bleue ist eines der Stücke – ein Raritätsstück – auf das sich das Grazer Publikum in der heurigen Spielzeit freuen darf (Foto Werner Kmetitsch)

Ich frage die erfolgreiche Dirigentin, ob sie den Unterschied spürt, wenn ein Orchester ein Stück bereits kennt oder ein völlig neues Stück spielen muss. Oksana Lyniv lächelt wieder. „Ich weiß wirklich nicht, was besser ist. Wenn das Orchester ein Stück erst vor kurzem gespielt hat, kann es sein, dass es zu stark festhält – im Gegensatz zu einem erstmals oder länger nicht gespielten Stück, in dem ich sofort eigene Ideen umsetzen kann. Es kann also leichter, kann aber auch schwerer sein. Aber das ist immer so, das gehört zur Herausforderung an einen Dirigenten einfach dazu.“

Oksana Lyniv: „Es ist immer die Frage, was man bei Aufführungen riskiert und was nicht. Legt man mehr Wert auf echte Courage und echte Inspiration, die den ganzen Abend brennt, oder auf eine coole, auf Sicherheit gehaltene, kontrollierte Interpretation." (Foto Werner Kmetitsch)
Oksana Lyniv: „Es ist immer die Frage, was man bei Aufführungen riskiert und was nicht. Legt man mehr Wert auf echte Courage und echte Inspiration, die den ganzen Abend brennt, oder auf eine coole, auf Sicherheit gehaltene, kontrollierte Interpretation.“ (Foto Werner Kmetitsch)

Live-Aufnahmen und Zufriedenheit 
Wir sprechen darüber, dass manche Schauspieler den Film, manche wegen des direkten Feedback das Theater mehr schätzen, und ich möchte von Oksana Lyniv wissen, was sie mehr schätzt, die Bühne oder das Studio. „Ich schätze den Aufnahmeprozess, weil man einen gewissen Idealklang, eine gewisse Vollkommenheit erreichen kann. Im Idealfall liebe ich es Stücke aufzunehmen, die ich schon mehrmals in Konzerten gespielt habe. Neue Stücke aufzunehmen, die ich noch nie dirigiert habe, ist viel, viel schwerer. Denn bei Proben kann ich experimentieren, versuche, an verschiedenen Stellen Akzente zu setzen, dramaturgische Abläufe anders zu gestalten. Dann, bei der Aufnahme, habe ich wie ein Architekt schon einen perfekten Plan. Wenn man jetzt ein ganz neues, nicht so bekanntes Stück oder selten gespieltes Stück aufnimmt, fehlt diese Probenphase.“

"Wirkliche Perfektion gibt es nie, aber man muss die Arbeit, die man macht, lieben und darin einen Sinn finden," erklärt die Grazer Chefdirigentin Oksana Lyniv (Foto Werner Kmetitsch)
„Wirkliche Perfektion gibt es nie, aber man muss die Arbeit, die man macht, lieben und darin einen Sinn finden,“ erklärt die Grazer Chefdirigentin Oksana Lyniv (Foto Werner Kmetitsch)

Auf meine Frage, ob sie mit sich selbst zufrieden sein kann, meint sie: „Ja und nein. Wenn man nicht kritisch ist, kann man sich nicht weiter entwickeln. Aber wenn man nur kritisch ist, verliert man den Glauben, dass die Sache überhaupt einen Sinn hat. Ich freue mich über Ergebnisse, die ich erreicht habe, um dann zu analysieren, wo ich jetzt stehe und was ich weiter erreichen will. Man muss auch mehr den Prozess als das Resultat lieben. Das Resultat kann aus mehreren Gründen verschieden sein. Aber wenn man zu schnell deprimiert reagiert, verliert man die Motivation. Wirkliche Perfektion gibt es nie, aber man muss die Arbeit, die man macht, lieben und darin einen Sinn finden. Wenn ich beispielsweise meine Lieblings-Liveaufnahme La Boheme von Toscanini höre, da ist vieles nicht perfekt. Aber es ist ein Funke, eine Energie und Inspiration da, die man auf einer anderen, einer vielleicht perfekt geschnittenen Aufnahme gar nicht finden würde. Perfekt muss also nicht immer besser sein.“

Nach einem gelungenen Abend 
Was macht Oksana Lyniv nach einem Konzert? Zieht sie sich zurück oder geht sie mit Freunden auf ein gutes Glas Wein? Oksana Lyniv lacht wieder: „Ein Konzert ist ein unglaublicher Höhepunkt nach einer meist intensiven Probenphase. Wenn dann alles gut läuft, du die Atmosphäre, die Elektrizität im Publikum spürst und darauf reagieren kannst, dann ist ein Konzert eine unglaubliche Offenbarung. Etwas, das das Publikum, die Musiker und mich unglaublich vereint.“ Begeistert spricht Oksana Lyniv weiter: „Es entsteht ein Bedürfnis, die Zeit möge stehen bleiben und die eigene Faszination auf das Publikum übergreifen, damit es auf die höchste emotionale Ebene mitkommt – dann kann man nach einem Konzert natürlich nicht gleich nach Hause gehen. Im besten Fall habe ich mir nahestehende Menschen um mich, Familie, Freunde. Menschen, die zu meinem Konzert gekommen sind und mich kontaktieren wollen. Dann ist es schön, in Gesellschaft zu bleiben und zu hören, wie das Konzert war, wie es bei den Menschen angekommen ist. Dieses Feedback ist so wichtig, auch für mich.“

Oksana Lyniv: „Ein Konzert ist ein unglaublicher Höhepunkt nach einer meist intensiven Probenphase. Wenn dann alles gut läuft, du die Atmosphäre, die Elektrizität im Publikum spürst und darauf reagieren kannst, dann ist ein Konzert eine unglaubliche Offenbarung." (Foto Werner Kmetitsch)
Oksana Lyniv: „Ein Konzert ist ein unglaublicher Höhepunkt nach einer meist intensiven Probenphase. Wenn dann alles gut läuft, du die Atmosphäre, die Elektrizität im Publikum spürst und darauf reagieren kannst, dann ist ein Konzert eine unglaubliche Offenbarung.“ (Foto Werner Kmetitsch)

Auf meine Frage, ob es dann auch ein Glas Wein sein darf, meint sie lachend: „Wenn ich nicht am nächsten Tag ein Konzert habe und morgens um 5 Uhr schon mein Flug geht. Ich sage vielleicht so, ich bin schon von der Inspiration alleine so berauscht – aber anstoßen geht natürlich auch.“

Graz erleben
Ich erinnere Oksana Lyniv, dass sie in einem Artikel erwähnte, dass sie an ihrem ersten freien Tag durch Graz spazieren möchte. Sie lacht wieder. „Ich hatte zwar einen freien Tag, aber da war ich so müde und kaputt von der Reise, dass ich zu Hause blieb. Ich freue mich aber sehr auf Graz, auch darauf, selbst die Stadt zu erkunden. Sie ist unglaublich schön und ich liebe den Herbst, ich finde, Herbst passt sehr gut zu Graz mit den vielen Bäumen, dem schönen Markt und einer bunten Vielfalt von Obst und Gemüse.“ Als ich noch wissen möchte, was ihr bis jetzt am besten in Graz gefallen habe, antwortet sie lachend: „Die Oper.“ Sie verrät noch weiter: „Ich liebe es einfach, bei sonnigem Wetter von mir zu Hause zur Oper zu gehen, diese schöne Architektur zu sehen. Es war für mich wichtig, eine Wohnung unweit der Oper zu finden. Und dann am Weg zu Fuß zur Oper mich völlig den eigenen Gedanken zu überlassen und schon Musik im Kopf zu hören – das liebe ich und das hat für mich eine absolut künstlerische Atmosphäre.“

Oksana Lyniv: "Als Dirigent lebt man gleichzeitig in mehreren Phasen. Wir arbeiten an Stücken für morgen, planen aber gleichzeitig schon zwei, drei Saisonen voraus. Man sucht neue Stücke aus, denkt über Konzerte und neue Produktionen nach. Und man befasst sich mit Komponisten, die gerade neue Werke entwickeln." (Foto Werner Kmetitsch)
Oksana Lyniv: „Als Dirigent lebt man gleichzeitig in mehreren Phasen. Wir arbeiten an Stücken für morgen, planen aber gleichzeitig schon zwei, drei Saisonen voraus. Man sucht neue Stücke aus, denkt über Konzerte und neue Produktionen nach. Und man befasst sich mit Komponisten, die gerade neue Werke entwickeln.“ (Foto Werner Kmetitsch)

Oksana Lyniv probte die letzten Tage bis zu 5 Stunden täglich mit dem Orchester. „Aber als Dirigent arbeitet man ‚24 Stunden‘, mit kaum Freizeit. Wir leben gleichzeitig in mehreren Phasen, arbeiten an Stücken für morgen, planen aber gleichzeitig schon zwei, drei Saisonen voraus. Man sucht neue Stücke aus, denkt über Konzerte und neue Produktionen nach. Und man befasst sich mit Komponisten, die gerade neue Werke entwickeln. Auch das ist sehr interessant. Ich finde den Beruf des Dirigenten schon deshalb so faszinierend, da er ein sehr sozial vernetzter Beruf ist. Ein erfolgreicher Konzertpianist beispielsweise muss täglich viele Stunden alleine üben. Dirigenten brauchen zwar auch Ruhe für das Studieren von Partituren, aber sie müssen auch viel mit Menschen kommunizieren und das finde ich sehr schön.“

Oksana Lyniv begleitet mich noch bis zum Eingang der Oper und verabschiedet sich mit den Worten: „Ich werde mich immer freuen, Sie wieder zu treffen.“ Was für eine schöne Verabschiedung.

Großes Beitragsfoto: Oksana Lyniv ist die neue Chefdirigentin der Grazer Oper (Foto Werner Kmetitsch)

www.oper-graz.at/oksana-lyniv

 

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