Thomas ‚Tom‘ Neuwirth: Conchita ist für mich keine Figur bis zur Pension

AConchita Live (Foto André Karsai)ls Conchita im Vorjahr zu Gast auf den Grazer Kasematten war, begeisterte sie nicht nur mit ihrer gefühlvollen Stimme und Titeln wie ‚Heroes‘, ‚Somebody to Love‘ oder natürlich ‚You are unstoppable‘, sondern unterhielt ihre Fans auch mit einer sehr humorvollen Moderation.

Conchita nahm sich vor ihrem Konzert auf den Grazer Kasematten Zeit für ein Interview mit mir (Foto privat)
Conchita nahm sich vor ihrem Konzert auf den Grazer Kasematten Zeit für ein Interview mit mir (Foto privat)

Kurz vor ihrem Konzert nahm sich Conchita alias Thomas ‚Tom‘ Neuwirth noch die Zeit für ein Interview mit mir. Wir saßen gemütlich auf einer der noch leeren Bänke in den Kasematten und er erzählte mir von seiner großen Freude, endlich wieder einmal in Graz aufzutreten. „In der Heimat zu spielen ist immer speziell, und auch wenn ich nicht aus Graz bin, habe ich doch viele Jahre hier gelebt und habe noch viele Freunde hier. Auch die Akustik auf den Kasematten ist ein Wahnsinn.“ Für ein Treffen mit seinen Freunden fehlte leider die Zeit, „aber ich freue mich, wenn ich einige nach dem Konzert begrüßen kann.“

Das langsame Ende von Conchita
Natürlich spreche ich Tom auf das ‚Sterben‘ von Conchita an. Er lacht und meint: „Es stimmt grundsätzlich, dass ich das definitiv nicht bis zur Pension machen werde – wobei ich nie in Pension gehen werde. Ich habe so viele Dinge in meinem Leben vor und für viele davon brauche ich keine Perücke. Ich spüre, ich brauche Veränderungen, neue Herausforderungen.“ Ist die Kunstfigur Conchita, die das ‚Wurst‘ schon vor einiger Zeit verlor, ausgereizt, frage ich ihn. „Ich habe viel erreicht mit dieser Figur, aber ich habe definitiv Lust auf Neues.“ Conchita bringt im Frühjahr ihr zweites Album auf den Markt und geht nochmals auf Tour.

Auf meine Frage, ob das Neue nicht zwingend ‚Tom‘ sein muss meint er schmunzelnd: „Nicht unbedingt. Vielleicht mache ich auch gar nichts in der Öffentlichkeit, vielleicht schreibe ich ein Drehbuch und drehe einen Film. Ich bin sehr offen für viele Spielvarianten“, und ergänzt: „Es macht mir wahnsinnig viel Spaß, auf der Bühne zu stehen. Aber ich merke auch, dass ich es doch schon ein paar Jahre mache und mich darauf freue, etwas Kreatives zu tun, das vielleicht nicht auf einer Bühne präsentiert werden wird.“

Conchita trat zu Silvester in Berlin auf (Foto Dennis Wartenberg)
Conchita trat zu Silvester in Berlin auf (Foto Dennis Wartenberg)

Mich interessiert nun, wie man einen so kometenhaften Erfolg verarbeitet und erfahre: „Das weiß ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass ich es schon verarbeitet habe. Man ist im Machen, es rennt alles dahin und ein Termin jagt den anderen. Da gibt es schon Momente, in denen man nachzudenken beginnt. Ich würde lügen, würde ich sagen, dass es nicht gelegentlich überfordernd ist: Immer noch mehr Aufmerksamkeit, eine ständig wachsende Erwartungshaltung. Dieses Korsett, in das ich mich selbst geschnürt habe, breche ich jetzt gerade ein bisschen auf und versuche, es für mich neu zu interpretieren.“

Conchita: "Dieses Korsett, in das ich mich selbst geschnürt habe, breche ich jetzt gerade ein bisschen auf und versuche, es für mich neu zu interpretieren.“
Conchita: „Dieses Korsett, in das ich mich selbst geschnürt habe, breche ich jetzt gerade ein bisschen auf und versuche, es für mich neu zu interpretieren.“

Spiel mit den Medien
Ich mache Tom ein Kompliment für seine immer perfekten Interviews, obwohl die Fragen sicherlich nicht immer angenehm waren. Lächelnd meint er dazu, dass man dazu eine gewisse Routine entwickelt: „Und ich glaube, reden konnte ich immer schon besser als singen“, lacht er leicht kokettierend. „Na ja, weil ich auch ein Narziss bin, und wenn manche Fragen nicht angenehm waren, so haben sie sich doch mit mir beschäftigt. Die Herausforderung liegt darin, Menschen, die einem eher negativ gegenüber eingestellt sind, am Ende des Tages zu überzeugen, dass man auch nur ein Mensch mit Gefühlen und vielleicht sogar ganz nett ist. Es ist, wenn ich das so sagen darf, wie ein kleines Spiel.“ Schmunzelnd erzählt er weiter: „Ich merke bei der Begegnung mit Journalisten meist sofort, wie sie mir gegenüber eingestellt sind – und das ist für mich dann eine Herausforderung. Ich meine, dass ich schon ein Talent habe, Journalisten dazu zu bringen, das zu fragen was ich will, dass sie fragen.“ Nun muss auch ich schmunzeln und frage ihn, was er denn von mir gefragt werden möchte. „Ich habe gar kein Anliegen, ich freue mich einfach nur, dass ich hier mit Dir sitze“, kommt es charmant zurück.

"In der Heimat zu spielen ist immer speziell, und auch wenn ich nicht aus Graz bin, habe ich doch viele Jahre hier gelebt und habe noch viele Freunde hier," verrät mir Conchita (Foto privat)
„In der Heimat zu spielen ist immer speziell, und auch wenn ich nicht aus Graz bin, habe ich doch viele Jahre hier gelebt und habe noch viele Freunde hier,“ verrät mir Conchita (Foto privat)

Seine ‚Oase‘, seine Texte und seine Unzufriedenheit
Ruhe nach langen anstrengenden Tagen findet er in seiner Wohnung. „Ich liebe meine Wohnung. Ich nenne sie mein kleines Turmzimmer, meine Oase, meinen Rückzugsort. Und ich tanze. Ich habe kabellose Kopfhörer, drehe wahnsinnig laut Musik auf und tanze tatsächlich vor einem großen Spiegel. Ich habe keine Ahnung warum, das kam irgendwie so und es funktioniert.“ Er verrät mir noch, dass er es nicht mag, wenn ihm Leute beim Tanzen zusehen, da er das Gefühl habe, nicht gut genug zu sein. „Aber vielleicht übe ich ja auch für später, ohne es zu wissen.“

Conchita sang vor 2200 Besucher am Opernball in Hannover. Das Motto: „Hallo, Wien!“ (Foto Rainer Droese)
Conchita sang vor 2200 Besucher am Opernball in Hannover. Das Motto: „Hallo, Wien!“ (Foto Rainer Droese)

In unserem Gespräch spüre ich, wie zielorientiert Tom ist und wie hoch seine Ansprüche an sich selbst sind. „Ich  bin kaum zufrieden zu stellen“, gibt er zu. „Das ist nicht zwingend schön, aber es bringt mich voran. So bin ich und ich kann gar nicht anders. Ich habe daher aufgehört, mir meine eigenen Konzerte nachher anzusehen. Ein gutes Beispiel ist mein Auftritt im Sidney Opera House. Er war überwältigend, ein absolutes Geschenk. Und als ich ihn mir danach angesehen habe, war die Freude weg.“ Warum, frage ich ihn erstaunt. „Weil ich für mich selbst nicht gut genug war. Leider bin ich wirklich sehr gut darin, mich selbst zu zerfleischen“, lacht er. Da musst Du also noch lernen, dich über deine Erfolge zu freuen, meine ich darauf und er lacht wieder fröhlich. „Ja, das ist definitiv etwas, das ich mir gerne aneignen würde. Ich muss lernen, die Gratulationen, die Komplimente wirklich zu genießen. Es ist ein langer steiniger Weg, aber ich arbeite daran.“

„Ich bin kaum zufrieden zu stellen“, gibt Conchita zu. „Das ist nicht zwingend schön, aber es bringt mich voran." (Foto Jansenberger Fotografie)
„Ich bin kaum zufrieden zu stellen“, gibt Conchita zu. „Das ist nicht zwingend schön, aber es bringt mich voran.“ (Foto Jansenberger Fotografie)

Tom schreibt auch Texte, „aber da landet sehr viel im Mistkübel“, erzählt er ganz offen. „Ich kann gut Geschichten erzählen, aber ich bin nicht gut darin, zu reimen oder Worte in – wie soll ich sagen – wahnsinnig bedeutungsschwangere Phrasen zu verpacken. Das kann ich nicht wirklich, aber ich habe Menschen gefunden, die das sehr gut können. Aber ich zu 100 % in den Song writing Prozess involviert.“ Er freue sich aber schon, wenn von ihm ein ‚Reim‘ übrig bleibe, lacht er wieder herzlich.

Toms Zukunft
Erstmal ist volle Konzentration auf das neue Album angesagt. „Das erste Album war ja Pop, und das hat gut funktioniert. Aber jetzt möchte ich etwas machen, das authentischer ist, und ich überlege mir gerade, was ich mag und was ich singen will.“

„Was auch immer ich machen werde, ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich immer auf den höchstmöglichen Erfolg hinarbeiten werde (Foto Jansenberger Fotografie)
„Was auch immer ich machen werde, ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich immer auf den höchstmöglichen Erfolg hinarbeiten werde (Foto Jansenberger Fotografie)

Es bleibt aber auf alle Fälle sehr spannend, wie es mit Tom weitergehen wird: vielleicht als Tom, vielleicht aber auch wieder als eine neue Kunstfigur, vielleicht wird er als Designer arbeiten oder hinter der Kamera tätig sein werden. „Vielleicht fange ich an zu tanzen, was ich am meisten hasse“, lacht er gut gelaunt. „Aber was auch immer ich machen werde, ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich auf den höchstmöglichen Erfolg hinarbeite – und dann werde ich wieder daran denken, etwas anderes zu machen.“

Großes Beitragsfoto: Conchita in der Oper von Sydney (Foto Ken Butty/copyright Österreich Werbung)

Conchita
1988 in Gmunden in OÖ geboren
2006 Teilnahme an der dritten Staffel der TV-Castingshow Starmania; Zweiter hinter Nadine Beiler
2007 Gründung der Boyband jetzt anders!, Auflösung im selben Jahr
2011 Abschluss an der Grazer Modeschule
2011 tritt Tom Neuwirth als Dragqueen Conchita Wurst in Erscheinung
2014 Song Contest Sieg mit ‚You are unstoppable‘

www.conchitawurst.com 

 

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