Darrel Toulon

„Tanz und Bühne sind mein Leben“, sagt Ballettdirektor und Chefchoreograf des Balletts der Grazer Oper Darrel Toulon. In einem ausführlichen Gespräch erzählt er in sympathischer Weise über sein Leben. 

Ich treffe Darrel Toulon, Ballettdirektor und Chefchoreograf des Balletts der Grazer Oper, in seinem Büro. Trotz seines übervollen Terminkalenders – er ist Künstlerischer Leiter der ALPHAGROUP, Lehrbeauftragter für »Musikdramatische Analyse« an der Grazer Kunstuniversität und Mitglied des Tanzbeirats des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur und gefragtes Jurymitglied in Tanz- und Choreographiewettbewerben – nimmt er sich die Zeit für ein ausführliches Gespräch und erzählt in sympathischer Weise über sein Leben.

Darrel Toulon wurde auf der Karibikinsel Dominica geboren und wuchs mit 4 Brüdern und 4 Schwestern auf. Schon als Kind liebte er es auf der Bühne zu stehen, zu singen und zu spielen. Als 11jähriger hatte er schon eine eigene kleine Truppe, führte eigene Produktionen auf. Mit 17 Jahren ging er nach England und besuchte das United World College of the Atlantic in Wales. Die United World Colleges (UWC) sind eine Gruppe von derzeit 12 internationalen Schulen, an denen Jugendliche aller Nationalitäten, Kulturen und sozialer Schichten aus über 120 Ländern für zwei Jahre gemeinsam lernen, leben und ihre Schulausbildung mit einem „International Baccalaureate Diploma“, einem internationalen Abitur, beenden.

Mit 19 Jahren begann er seine Ausbildung als Tänzer in den Thamesdown Contemporary Dance Studios in Swindon, im Südwesten Englands, und an der Central School of Ballet in London. Er startete seine Tanzausbildung, wie er selbst sagt, bei Null und die Ausbildung an der Central School of Ballett bezeichnet er als knallhart. In England hat er auch das erste Mal gesehen, dass es ein „berufliches“ Theater gibt, dass man Theater studieren kann, und es stand für ihn fest, sein Leben dem Theater, der Bühne zu widmen.

Für ihn gibt das Theater Denkanstöße, es hält Spiegel hoch und alle Sinne werden in den Menschen angesprochen. Sein erstes Engagement als Tänzer führte ihn zum Tanzforum Köln unter der Leitung von Jochen Ulrich, wo er sehr schnell zum Solotänzer avancierte. Als Gastsolist tanzte Darrel Toulon beim Züricher Ballett. Neben seiner tänzerischen Karriere arbeitete er auch als Sänger, Schauspieler und Choreograf für verschiedene Theater-, Musical-, Opern- und Filmproduktionen.

1997 kam er erstmals nach Graz, wo er im Schauspielhaus in der Produktion „Liebe, Stärke, Mitgefühl“ die Rolle des Ramòn spielte. Seit der Wintersaison 2001/2002 ist Darrel Toulon Ballettdirektor an der Grazer Oper und wir verdanken ihm zahlreiche Arbeiten wie Cinderella, Die Prinzessin und der Zwerg, die Strawinsky-Ballette Der Feuervogel sowie Romeo und Julia, Extremotions – Love Hurts und Dornröschen. 2002 wurde Darrel Toulon für seine Aufbauarbeit in Graz mit dem „Spezialpreis für besondere Leistungen im österreichischen Tanz“ ausgezeichnet. Dieser Preis wird von dietheater Wien, Festspielhaus St. Pölten und Posthof Linz vergeben. Die Bühne bedeutet für Darrel Toulon den Moment aller Wahrheiten.

G’sund: Sie sind ein unglaublich vielseitiger Künstler. Sie tanzen, choreografieren, sind aber auch Schauspieler.
Toulon: Ich habe nach acht Jahren als Tänzer das Gefühl gehabt, unterfordert zu sein, dass es noch mehr geben muss. So habe ich mit dem Schauspiel begonnen und ich fand darin eine seelische Erfüllung. Ich habe in den vier Jahren als Schauspieler meist Tänzer gespielt, die um etwas kämpfen – und das Spannende dabei war, dass mich diese Rollen wieder zurück zum Tanz gebracht haben. Im Schauspiel braucht es mehr als nur einen schön gesprochenen Text, um Karriere zu machen. Wie im Tanz braucht es Emotionen oder Inhalte, die tief in der menschlichen Komponente sitzen, die man über seine Bewegungen zum Ausdruck bringt. So wie sich der Schauspieler also mit seinem Text auseinandersetzt, wollte ich mich mit dem Tanz auseinandersetzen. So bekam ich wieder Freude, mit Tanz zu arbeiten. Aber weniger in der Art, in der die Choreografen damals mit mir arbeiteten, eher wie ein Regisseur mit seinen Schauspielern.

G’sund: Ich habe das Gefühl, dass Sie ein Mensch sind, der sich immerzu in einem Denkprozess befindet, der ununterbrochen hinterfragt, warum und weshalb dieses oder jenes passiert.
Toulon: Das stimmt. Ich habe 24 Stunden am Tag „Filme“ im Kopf. Für mich ist es ein heiliger Moment und eine große Verantwortung, wenn Menschen sich Zeit für eine Aufführung nehmen, mir Zeit ihres Lebens schenken. Und deshalb denke ich intensiv darüber nach, was mache ich mit dieser Zeit, denn wenn wir Zeit miteinander verbringen, sollte sie uns auch weiterbringen.

G’sund: Wie lange vor einer Premiere beginnen Sie sich mit dem Stück auseinander zu setzen?
Toulon: Nehmen wir die Schwanentrilogie. Für so eine große Produktion beginnt die Vorbereitung ein Jahr davor. Ich beschäftigte mich mit Schwanensee und zwei weiteren berühmt vertonten Schwanengeschichten, hörte die Musik, sah mir Filme an, recherchierte im Internet. Ich fragte mich, was die Faszination dieses Stückes ausmacht, was mir zu diesem Stück einfällt. All diese Informationen sammle ich auf einer Speicherkarte in meinem Kopf. Ich habe mir Schwäne angesehen, ihre Bewegungen. Ich habe den Brustkorb von Schwänen mit dem Brustkorb eines Menschen verglichen, versucht herauszufinden, mit welchen Bewegungen der Mensch einen Schwan darstellen kann. Das wird in meinem Kopf auf einer zweiten Speicherkarte gesammelt. All diese Informationen und meine Ideen werden dann mit den Ideen der Tänzer, der Designer und Musiker kombiniert. 6 Wochen vor der Premiere beginnen dann die Proben.

G’sund: Das Training eines Tänzers ist ein tägliches, sehr hartes Training. Wurde Ihnen das nie zuviel?
Toulon: Es war für mich immer normal das zu tun, was ich tue. In Köln haben wir von 10 bis 17 Uhr durchlaufend geprobt. Ich selbst hatte auch niemals kleine Rollen. Unabhängig davon ist jede neue Rolle eine neue Herausforderung und als Interpret kann man unglaublich viel aus einer Rolle machen.

G’sund: Welche war für Sie Ihre tollste Rolle als Tänzer und welches Stück war für Sie das interessanteste als Choreograf?
Toulon: Als Tänzer war das die Rolle des Alwa in Lulu, einer Produktion von Jochen Ulrich, der seit 2006/2007 Ballettdirektor am Landestheater in Linz ist. Ich spielte ein ganzes Leben, vom jungen Unschuldigen bis zum alten Bock. Das war für mich das Faszinierendste und eine noch größere Herausforderung als der Romeo. 1996 choreographierte ich „Slippery Eel“ in Köln. Es waren zwar nur 16 Minuten, aber das war wirklich mein schwerster Brocken an Choreographie. Es ging um einen surrealistischen Dialog um drei Uhr morgens zwischen einem Jungen und einem Älteren, alles in einer Person. Man wusste nicht, ist es eine Reise in die Vergangenheit einer älteren Person oder sind es die Zukunftsvisionen einer jungen Person? Oder findet es überhaupt in der Zukunft statt? Mir wurde bei diesem Stück klar, wie viele Ebenen, Sichtweisen es gibt. Wir stellten beispielsweise den Weg in die Vergangenheit dar, indem der Tänzer rückwärts geht, also die Rolle rückwärts einstudieren muss.

G’sund: Was machen Sie in Ihrer Freizeit ?
Toulon: (schmunzelt) Ich koche sehr gerne und ich reise auch sehr gerne. Ich liebe es, neue Länder und Menschen kennen zu lernen. Zuletzt war ich in Marokko und dieses Land hat mich sehr fasziniert. Ich finde es auch sehr schön, Gedanken und Ideen mit meiner Familie und Freunden zu teilen. Aber ich nehme mir auch Auszeiten.

G’sund: Wie wichtig ist Ihnen Familie, sind Ihnen Ihre Freunde?
Toulon: Familie ist mir natürlich sehr wichtig und ich versuche auch immer Zeit mit meinen zwei Söhnen zu verbringen und diese Zeit möglichst intensiv zu gestalten und zu erleben. Freunde gewinnen für mich immer mehr an Bedeutung und ich nehme mir auch mehr Zeit für sie, vor allem für meine langjährigen Freundschaften.

G’sund: Was sind Ihre nächsten Pläne und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Toulon: Am 30. September 2009 ist die Premiere von INTIMACY. In diesem Tanzstück treffen Einzelgänger aufeinander und ihre Begegnungen wirken wie Momentaufnahmen, die sich, wie mit der Polaroidkamera aufgenommen, zu einer Collage in Großformat zusammenfügen. Ich verknüpfe mit dem Ensemble Tanzsequenzen mit Versatzstücken und Erlebnisberichten aus der intimen Lebenswelt der Tänzer.
Ich bin gerne Ballettdirektor in Graz und möchte das auch bleiben, so lange ich das Gefühl habe, dass ich noch weiter daran arbeiten kann. Ballett wird leider noch immer als „Pauseneinlage“ gesehen und ich wünsche mir, dass der Tanz endlich selbständig und als eigene, seriöse Komponente gesehen wird.

„Meine Tanzsprache besteht aus allem, was ich je in meinem Leben gelernt habe – das ist klassischer Tanz, das ist moderner Tanz, das ist aber auch das Beobachten von Leuten auf der Straße, die Erinnerung von all dem zusammen. … … Im Endeffekt sind wir Tänzer, haben unsere Körper, die wir jeden Tag trainieren. Ich bin offen, um neue Bilder zu schaffen – neu ist ja kaum etwas heutzutage, aber für den Moment entsteht das richtige Bild.“ (Darrel Toulon)

 

Erschienen in G’sund 2010

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