Marie Kreutzer – „Regie führen ist auch eine Form des Geschichten-Erzählens“

Regisseurin Marie Kreutzer im Interview im Orpheum Graz (Foto Hedi Grager)Der erfolgreiche Film „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer hatte seine Premiere im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin, wo er in den Wettbewerb um den Goldenen Bären eingeladen wurde. Auf der Diagonale in Graz wurde er am 19. März 2019 als Eröffnungsfilm gezeigt. Gedreht wurde der Film analog auf 35 mm. Für Maria Kreutzer – für sie ist Regie führen auch eine Form des Geschichten-Erzählens – ist das analoge Material lebendiger, zwar unberechenbarer, aber verzeihender.

Die erfolgreiche steirische Regisseurin Marie Kreutzer drehte den erfolgreichen Film „Der Boden unter den Füßen“ (Foto Wolf Silveri)
Die erfolgreiche steirische Regisseurin Marie Kreutzer drehte den erfolgreichen Film „Der Boden unter den Füßen“ (Foto Wolf Silveri)

Ich treffe Marie Kreutzer einen Tag nach der Diagonale Eröffnung im Schubertkino. Sie sitzt mir sehr relaxt gegenüber und meint auf meine Frage, wie es ihr gehe: „Müde bin ich, sonst geht es mir sehr gut. Es war ein total schöner Abend.“

Wie Marie Kreutzer in einem Interview erzählte, hat sie „Der Boden unter den Füßen“ kompromisslos gedreht und sei so zufrieden wie nie zuvor mit einem ihrer Filme. „Ich wusste ganz genau, was ich will. Bei manchen früheren Filmen habe ich zu früh gesagt, es passt so. Bei diesem Film habe ich meine Mitarbeiter und Schauspieler mehr gefordert und habe um Details gekämpft, die zu dieser Zeit vielleicht niemand um mich herum verstanden hat“, erzählt sie sehr offen. „Aber ich muss den Gesamtüberblick haben und dabei ist man zeitweise auch unbeliebt und sehr allein. Aber wenn sie alle erstmal wissen, wie genau ich bis ins kleinste Detail gehe, sind sie auch zu allem bereit.“

Ich treffe die Regisseurin Marie Kreutzer einen Tag nach der Diagonale Eröffnung im Grazer Schubertkino. (Foto Hedi Grager)
Ich treffe die Regisseurin Marie Kreutzer einen Tag nach der Diagonale Eröffnung im Grazer Schubertkino. (Foto Hedi Grager)

Ich möchte von ihr wissen, wie kurz oder lang sie die Leine für ihre Schauspieler lasse und erfahre: „Das ist unterschiedlich. Ich bin in vielen Entscheidungen schon streng, glaube aber, die Strenge bekommt eher der Rest des Teams zu spüren. Entscheidungen zu treffen ist das, was ich den ganzen Tag am Set tue und tun muss, und da kommen meine Entscheidungen schon sehr entschieden. Mit den Schauspielern ist es nicht ganz so. Ich versuche, einen Raum zu schaffen, in dem wir uns die Szene erst einmal ansehen, dann entscheiden, wie gefilmt wird und wie sie sich in diesem Raum bewegen. Ich mag es, wenn sie gut vorbereitet sind und wenn sie über ihre Figur Bescheid wissen. Wenn wir gemeinsam gut vorbereitet sind, dann ist es das Beste, sie ziemlich frei spielen zu lassen. Ich muss eigentlich nur darauf schauen, dass sie ‚im Moment sind‘ und sie nichts zu erzwingen oder sich selbst zu beobachten beginnen – denn das ist für einen Schauspieler immer schlecht. Regieanweisungen brauchen manche mehr und manche einfach weniger.“ Schmunzelnd meint sie weiter: „Jeder von ihnen ist ganz anders, und das ist auch der Reiz in diesem Beruf, herauszufinden, was der Einzelne braucht.“

Die erfolgreiche Regisseurin Marie Kreutzer 'bei der Arbeit'. (Foto Novotny Film/Katharina Sartena)
Die erfolgreiche Regisseurin Marie Kreutzer ‚bei der Arbeit‘. (Foto Novotny Film/Katharina Sartena)

Mich interessiert, ob es ihr als Regisseurin manches Mal schwer falle, aus ihrer ‚Rolle‘ aufzutauchen. „Das ist nicht so, weil es am Dreh oft sehr praktisch zugeht. Wir drehen auch nicht chronologisch, haben vormittags vielleicht etwas Hochdramatisches und am Nachmittag eine Szene, wo Lola 17x den Hang raufläuft“, lächelt Marie Kreutzer. „Der Alltag des Filmemachens holt einen einfach sowieso wieder auf den Boden. Da kann man gar nicht so stark reinkippen.“ Interessant erzählt die Regisseurin weiter: „Was ich aber schon gemerkt habe ist, dass es für das ganze Team einen Unterschied macht, was für eine Art von Film und zu welcher Jahreszeit gedreht wird. Ich habe vorher drei eher lustige Filme im Sommer gedreht, und da war das ganze Team in einer anderen Stimmung als bei einem im Winter gedrehten Drama. Da war für mich eine ganz andere Konzentration und Ernsthaftigkeit im Team spürbar.“

Eröffnung der Diagonale 2019 in der Grazer Helmut List-Halle – Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger mit Regisseurin Marie Kreutzer. (Foto Diagonale/Sebastian Reiser)
Eröffnung der Diagonale 2019 in der Grazer Helmut List-Halle – Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger mit Regisseurin Marie Kreutzer. (Foto Diagonale/Sebastian Reiser)

Drehbuchautorin und Regisseurin Marie Kreutzer setzt sich mit zeitgemäßen und auch kritischen Themen auseinander. „Ich kann es gar nicht so genau beschreiben, wie es passiert. Ich glaube, ich bin einfach grundoffen und lass mich von allem Möglichen inspirieren.“ Für „Der Boden unter den Füßen“ war das sicherlich auch das Schicksal ihrer Tante, die an Schizophrenie litt. „Ich hatte aber bei der Auswahl der Themen nie eine Karrierestrategie, ich mache immer das, was ich jetzt grad wichtig finde. Ich arbeite dann gerne schnell, habe den Drang, in Bewegung zu bleiben und das zu erzählen.“ 

In „Der Boden unter den Füßen“ geht es um das durchorganisierte Leben einer erfolgreichen Unternehmensberaterin, um Leistungsdruck und Gewinn, um deren psychisch kranke Schwester und darum, wie ihr Leben aus den Fugen gerät. Ich erzähle Marie Kreutzer von meinem Gefühl bei diesem Film, dass man es als Frau anscheinend immer nur falsch machen kann und dass man von einem Mann nicht soviel erwarten würde. Die Regisseurin stimmt mir zu, dass wir leider noch lange nicht gleichberechtigt sind. „Ich finde es eher traurig, dass viele das glauben. Es ist nach wie vor so, dass Frauen sehr viel mehr Arbeiten vereinen müssen, ihnen noch immer mehr zugeschoben wird, sie mehr organisieren müssen und das gerade in der Pflege von Angehörigen.“

Marie Kreutzer: "Ich hatte bei der Auswahl meiner Themen nie eine Karrierestrategie, ich mache immer das, was ich jetzt grad wichtig finde." (Foto Hedi Grager)
Marie Kreutzer: „Ich hatte bei der Auswahl meiner Themen nie eine Karrierestrategie, ich mache immer das, was ich jetzt grad wichtig finde.“ (Foto Hedi Grager)

Die erfolgreiche Drehbuchautorin und Regisseurin gilt als eine Perfektionistin. Dazu meint sie schmunzelnd: „Ja total, das ist offensichtlich nicht zu übersehen und ist auch anstrengend. Denn ich glaube, den eigenen Ansprüchen wird man am schwersten gerecht.“ Auf meine Frage, ob sie das auch privat sei, lacht sie: „Ja auch. Ich arbeite zu Hause und kann nur arbeiten, wenn die Wohnung picobello ist.“

Marie Kreutzer hat eine kleine Tochter, ihr Mann ist auch freiberuflich und beim Film tätig. „Wir teilen uns unsere Zeit gut ein und wir arbeiten immer wieder gemeinsam. Wichtig ist mir, dass die Zeit, in der ich keine fixen Termine habe und zu Hause Drehbücher schreibe, gleich viel gilt wie die Zeit, in der er arbeitet. Natürlich brauche ich als Regisseurin länger für einen Film als andere, die einen Film nur in verschiedenen Phasen begleiten. Wie z.B. mein Mann als Szenenbildner.“ Etwas nachdenklich ergänzt sie noch: „Es ist so schon schwer genug alles zu organisieren, aber wenn der Partner einen fixen 40-Stunden-Job hat, ist es sicherlich noch schwerer zu schaffen.“

Die Regisseurin Marie Kreutzer ist eine absolute Perfektionistin - beruflich wie privat. (Foto Hedi Grager)
Die Regisseurin Marie Kreutzer ist eine absolute Perfektionistin – beruflich wie privat. (Foto Hedi Grager)

Ich frage Marie Kreutzer, wie sie sich zusätzlich zur Perfektionistin beschreiben würde, worauf sie meint: „Ich werde seit Wochen immer wieder befragt, aber diese Frage wurde mir noch nicht gestellt. Ich bin sicher sehr sensibel und empfindlich, was zwar gut ist für meine Arbeit, sonst aber nicht immer. Ich bin nicht der ausgeglichenste Mensch, aber angeblich ausgeglichener als ich es selbst empfinde, bin einerseits sehr leistungsfähig, aber auch sehr ruhebedürftig.“

Kraft geben ihr vor allem Familie und Freunde. Sie braucht aber Zeiten, in denen sie alleine ist. „Ich brauche es, immer wieder mal alleine zu Hause zu sein, nur zu tun wonach mir ist.“ Sport macht sie, aber nicht so gerne, wie sie zugibt. „Ich hinterfrage gerade, ob ich soviel Zeit in etwas investieren soll, das ich nicht gerne mache.“

Marie Kreutzer liebt die Vielfalt. Aktuell arbeitet sie an vier Drehbüchern mit sehr unterschiedlichen Themen: einem TV-Krimi, einer Komödie über drei Paare in der Midlife-Crisis, an einem Drehbuch über Kaiserin Elisabeths Kampf gegen das Alter und an einem Projekt über eine politisch engagierte Journalistin. (Foto Hedi Grager)
Marie Kreutzer liebt die Vielfalt. Aktuell arbeitet sie an vier Drehbüchern mit sehr unterschiedlichen Themen: einem TV-Krimi, einer Komödie über drei Paare in der Midlife-Crisis, an einem Drehbuch über Kaiserin Elisabeths Kampf gegen das Alter und an einem Projekt über eine politisch engagierte Journalistin. (Foto Hedi Grager)

Aktuell arbeitet Marie Kreutzer an vier Drehbüchern mit sehr unterschiedlichen Themen: einem TV-Krimi, in dem eine homosexuelle Beziehung am Land im Mittelpunkt steht, einer Komödie über drei Paare in der Midlife-Crisis, an einem Drehbuch über Kaiserin Elisabeths Kampf gegen das Alter und an einem Projekt über eine politisch engagierte Journalistin. „Ja, ich brauche die Herausforderung“, lächelt sie. Auf meine Frage, ob sie mit ihren Filmen eine Message mitgeben möchte, meint sie wieder schmunzelnd: „Das ist auch wieder eine Frage, die ich noch nie gestellt bekommen habe. Ich glaube, in allen Filmen geht es ein bisschen darum, dass es ein Irrtum ist, dass man immer stark sein muss, dass wir zu hohe Ansprüche an uns selber haben. Ich merke es an mir, dass mir das immer bewusster wird, und ich immer offener mit meinen Schwächen umgehe – und das finde ich total befreiend. Und darum geht es mir immer wieder.“

Marie Kreutzer
Wurde 1977 in Graz geboren. Sie besuchte die AHS Modellschule Graz und die Filmakademie Wien und schreibt seit ihrem zehnten Lebensjahr. Wollte sie ursprünglich Schriftstellerin werden, studierte sie dann aber doch an der Filmakademie. So hat sie seit ihren Studienjahren nie etwas anderes gemacht als Film oder Fernsehen. Seit 1999 ist sie Drehbuchautorin und Regisseurin. Ihr Spielfilmdebüt „Die Vaterlosen“ erhielt 2011 den großen Preis der Diagonale.

Großes Beitragsfoto: Eröffnung der Diagonale 2019 in der Grazer Helmut List-Halle – Drehbuchautorin Marie Kreutzer (Foto Diagonale/Sebastian Reiser)

 

 

 

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