Lars Eidinger: Größtes Gut eines Künstlers ist die Glaubwürdigkeit

Lars Eidinger: „Wenn ich mich wirklich zeige und öffne, führt das zur Empathie der Zuschauer mit der Figur.“ (Foto Filmladen Filmverleih)Der deutsche Schauspieler, der zwei Jahre lang in außergewöhnlicher Weise den Jedermann verkörperte, ist ein absolutes Ausnahmetalent. In LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN lässt er einige sehr persönliche Einblicke bei der Erarbeitung neuer Rollen zu.

(Foto Filmladen Filmverleih)

Ich freue mich sehr, dass Lars Eidinger zwischen Auftritten, Drehtagen und der Promotion für die Dokumentation LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN sich Zeit für ein Interview mit mir nimmt. Für diesen Dokumentarfilm wurde er von Reiner Holzemer neun Monate lang ständig begleitet. Für einen Schauspieler, der normalerweise bei den Proben „nur“ 50 % gibt, um Kraft für den Auftritt zu sparen, stelle ich mir das extrem anstrengend vor – was mir Lars Eidinger bestätigt. „Ja, es widerspricht meinem Ideal von Kunstschaffen an sich. Das ist der Grund, warum ich das Theater so liebe, weil es ums Loslassen geht. Und deswegen bin ich auch so empfindlich, wenn im Theater mitgefilmt wird. Es gibt leider immer wieder Menschen, die das mit ihrem Handy machen. Das widerspricht der Idee von Theater, das nur den Anspruch erhebt eine Gültigkeit für den Moment zu haben und dann schon wieder vergangen ist. Dass die Endlichkeit eigentlich der Reiz des Lebens ist versteht man nur, wenn man wirklich loslässt. Wenn ich aber versuche, festzuhalten, spüre ich den Ehrgeiz, etwas zu schaffen, was für die Ewigkeit eine Gültigkeit hat. Das überfordert mich“, erzählt er in seiner ruhigen Art und leicht nachdenklich. „Das Tolle am Theaterspiel ist ja, dass ich die Stimmung in dem Moment beeinflussen kann. Die Stimmung, die in einem Kinosaal Jahre später herrscht, wenn der Film dann läuft, die kann ich überhaupt nicht mehr beeinflussen und das stresst und beunruhigt mich unverhältnismäßig.“

In "LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN" widmet sich Reiner Holzemer dem Schauspielstar zu einem wichtigen Zeitpunkt in seiner Karriere: als er bei den 100. Salzburger Festspielen den "Jedermann" spielte und danach seine erste große Hollywood-Rolle antrat. (Foto Filmladen Filmverleih)
In „LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN“ widmet sich Reiner Holzemer dem Schauspielstar zu einem wichtigen Zeitpunkt in seiner Karriere: als er bei den 100. Salzburger Festspielen den „Jedermann“ spielte und danach seine erste große Hollywood-Rolle antrat. (Foto Filmladen Filmverleih)

100 %
Beim Dokumentarfilm spürte er extrem den Gedanken, immer 100 % geben zu müssen. Er erzählt mir dazu von einem Abend mit dem tollen Musiker Hans-Jörn Brandenburg, der u.a. die musikalische Leitung für die Robert Wilson Uraufführung in ganz Deutschland hatte und schon mit großartigen Künstlern wie Tom Waits, Lou Reed oder Coco Rosi zusammengearbeitet hat. „Als ich mit ihm das erste Mal die Hauspostille von Brecht beim Brecht-Festival in Augsburg aufgeführt habe, hatten wir zwar eine sehr gute Probe, aber die Vorführung an sich fand ich nicht so gelungen. Das habe ich danach Hans-Jörn gesagt, worauf er antwortete: ‚Du willst immer 100 % geben und das schaffst Du nicht. Und dann sieht man die ganze Zeit jemanden, der an seinen eigenen Ansprüchen scheitert. Gib mal 70 %.‘“ Das war für Lars Eidinger wirklich lehrreich und seither versucht er, nicht die ganze Zeit ans Limit zu gehen.

Persönliche Momente
Neugierig möchte ich von Lars Eidinger wissen, wo für ihn während der Dokumentation aber ‚Kamera aus‘ war. „Es gab von vorherein die Verabredung, dass ich nicht zu Hause gefilmt werde. Das war so ein Tabubereich, weil ich zu gut weiß, dass es einen Ort geben muss, der mein persönliches Refugium bleibt, einen Ort, an den ich mich zurückziehen kann und den ich nicht zur Disposition stelle und sage, schaut her so wohne ich. Diese persönlichen Momente sind eigentlich ab dem Zeitpunkt, wo man sie öffentlich macht, immer beeinflusst, und ich möchte einen Ort haben, der unbeeinflusst von außen ist,“ erzählt der sensible Künstler. Er spricht dann den kurzen Moment an, bevor er auf die Bühne geht. „Ich versuche mich vor der Vorstellung zu nullen, versuche wirklich im Moment zu sein. Ich denke nicht darüber nach, was kommt und nicht was war, ich versuche wirklich nur anwesend zu sein.“ Das beschreibt für ihn das Phänomen von Präsenz. „Auf der Schauspielschule wurde vermittelt, dass man diese in die Wiege gelegt bekommt und dass es Schauspieler gibt, die präsent sind und andere, die es nicht sind. Als wenn man das nicht beeinflussen könnte. Ich habe gemerkt, dass dieses Phänomen nicht nur beschreibt, dass ich meinem Gegenüber, dem Zuschauer, das Gefühl vermittle, ich bin jetzt da. Deshalb finde ich den Untertitel der Dokumentation SEIN ODER NICHT SEIN interessant, weil er auch das beschreibt.

Lars Eidinger spielt Theater und ist in Kinofilmen, im Fernsehen und Serien zu sehen. 2021 gab der vielseitige Schauspieler sein Debüt als Jedermann bei den Salzburger Festspielen. (Foto Filmladen Filmverleih)
Lars Eidinger spielt Theater und ist in Kinofilmen, im Fernsehen und Serien zu sehen. 2021 gab der vielseitige Schauspieler sein Debüt als Jedermann bei den Salzburger Festspielen. (Foto Filmladen Filmverleih)

Beim Auftritt versuche ich einfach da, im Moment zu sein
Wenn ich hinter der Bühne stehe, schließe ich die Augen – es ist ein relativ kurzer Moment – und lege den Daumen und den Zeigefinger auf die Augenlider.“ Er zeigt mir das bei sich. „Und diesen Moment hat Reiner Holzemer gefilmt und so wurde dieser mein so persönlicher Moment in der Dokumentation öffentlich gemacht. Und da habe ich gemerkt, dass er dadurch beschädigt wurde. Das war aber ein Moment, der nur mir gehörte. Denn in so einem Moment möchte ich ja ganz bei mir sein. Da versteht man ein bisschen, was es heißt, alles öffentlich zu machen und zu teilen.“ Das heißt, Sie müssen jetzt eigentlich so einen Moment wieder für sich finden? „Ja, ich muss jetzt vielleicht was ganz anderes machen“, bestätigt Lars Eidinger leicht nachdenklich.

Die 4. Wand beim Theater
Der vielseitig interessierte Künstler kommuniziert sehr gerne mit dem Publikum und lässt sich von störenden Elementen nicht irritieren sondern geht auf sie ein. „Das mache ich nicht, weil ich als unberechenbar gelten will oder als radikal, weil ich die sogenannte 4. Wand durchbreche.“ Mit diesen Begriff aus der Theaterwelt wird eigentlich die Trennung zwischen Bühne und Publikum beschrieben. „Aber ich denke, die Schönheit des Spiels besteht doch darin, dass ich mit den Menschen in einem Raum bin. Warum also sollte ich künstlich eine 4. Wand einziehen und mich von ihnen trennen.“ Und er erzählt von einem tollen Erlebnis bei „Hyperion“, einer Inszenierung von Romeo Castellucci.“ „Da gab es eine Sequenz, da saß ein schwarzer Hund in einem white cube auf der Bühne und hinter dem Hund war eine große Projektion auf der stand ‚Dieser Hund ist blind‘. Da hat man 10 Minuten einem Hund zugeschaut, wie er auf alle Geräusche – er unterbricht und meint so wie ich jetzt – und dann hört man plötzlich die Autos, ein komisches Klappern und ein Geräusch. Und was ich so verrückt fand, durch meine eigene Wahrnehmung schaffe ich eine Sensibilität beim Publikum, und das versuche ich, indem ich auf alles reagiere, was im Raum stattfindet.“ Damit möchte er dem Publikum das Bewusstsein geben, dass auch sie im Moment anwesend sind. „Also auch der Zuschauer erfährt sozusagen eine Form  von Präsenz, und ich würde immer behaupten, dass ist der eigentliche Trumpf des Theaters: die Unmittelbarkeit. Und wenn man den verspielt, indem man diese Wand einzieht, verliert man den eigentlichen Reiz,“ ist Lars Eidinger sich sicher.

Für den international gefragten Schauspieler Lars Eidinger ist beim Theater der eigentliche Trumpf die Unmittelbarkeit. (Foto Filmladen Filmverleih)
Für den international gefragten Schauspieler Lars Eidinger ist beim Theater der eigentliche Trumpf die Unmittelbarkeit. (Foto Filmladen Filmverleih)

„Ich finde z.B. auch den Begriff Unterhaltung für Entertainment im Deutschen so  treffend, weil es eigentlich um eine Form von Kommunikation geht. Wenn ich jetzt mit ihnen rede und sie stehen plötzlich auf und gehen, wäre es mir im Theater so beigebracht worden, dass ich ignorieren soll, dass sie gehen, und ich mich mit den restlichen Zuschauern beschäftigen soll. Aber in unserer Unterhaltung würde ich ja auch unterbrechen und sagen, Entschuldigung, aber wir reden doch gerade miteinander, sie können jetzt doch nicht aufstehen und einfach gehen. Nichts anderes mache ich. Also wenn jemand aufsteht und geht, pöble ich ihn ja nicht an oder beschimpfe ihn, sondern ich frage ihn einfach nur, wo gehen sie denn jetzt hin? Und das ist schon eine Grenzüberschreitung, für mich aber im positiven Sinne.“ Er weiß, dass das manche als Provokation empfinden, wobei er findet, dass das Wort völlig zu Unrecht negativ konnotiert ist. „Provokation bezeichnet das gezielte Hervorrufen eines Verhaltens oder einer Reaktion bei anderen Personen. Provokation um seiner selbst Willen, führt meist zu einer Distanzierung, aber das Gegenteil ist ja eigentlich gemeint.“

Deshalb sagt man auch, Sie polarisieren, meine ich, worauf er mit einem Schmunzeln meint: „Ja, vielleicht. Sagt man das? Ich glaube, das größte Gut eines Künstlers ist die Glaubwürdigkeit, und die erhebt aber nicht den Anspruch auf die Wahrheit. Ich kenne die Wahrheit auch nicht, aber ich glaube, um glaubwürdig zu sein, dass es eine Kongruenz gibt zwischen dem, was man denkt, und dem, was man tut. Wenn es da eine Verschiebung gibt, dann wird man unglaubwürdig. Und da bin ich ganz ehrlich zu mir selbst. Ich versuche das zu sagen, was ich denke, und nicht zu taktieren oder mit Kalkül vorzugehen. Sie fragen mich etwas und ich versuche die Antwort darauf zu geben. Ich versuche aber in dem Sinne alles abzuschalten, was jemand erwartet, dass ich jetzt antworte oder was jemand denken könnte, der es nachher liest. Das kann ich sowieso nicht beeinflussen. Deswegen versuche ich mir gegenüber aufrichtig zu sein.“

In LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN lässt der Schauspieler einige sehr persönliche Einblicke bei der Erarbeitung neuer Rollen zu. (Foto Filmladen Filmverleih)
In LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN lässt der Schauspieler einige sehr persönliche Einblicke bei der Erarbeitung neuer Rollen zu. (Foto Filmladen Filmverleih)

„Jedermann“ und Image
Zwei Jahre lang hat Lars Eidinger den Jedermann verkörpert. Es war zu lesen, dass er einerseits damit aufhörte, weil eine internationale Produktion anstand aber auch für seine damals 15-jährige Tochter. Sie sollte nicht ein weiteres Jahr den Sommer ohne ihn sein. Aber war die Rolle des Jedermann für ihn auch ausgespielt, möchte ich wissen. „Nein, wenn diese anderen Faktoren nicht relevant gewesen wären, hätte ich es bis an mein Lebensende weiterspielen können“, kommt es begeistert von ihm. „Ich habe jede Vorstellung genossen. Ich finde diesen Ort magisch, was gibt es Schöneres als in Salzburg am Eisbach zu sitzen und auf den Unterberg zu schauen. Aber meine Tochter ist jetzt 16 Jahre alt und ich hab kein einziges Mal in diesen 16 Jahren sechs Wochen ihrer Schulferien durchgängig Urlaub gehabt. Es war mir einfach wichtig zu sagen, bevor sie gar nicht mehr mit uns in den Urlaub fährt, ich sage in diesen sechs Wochen alles ab, was kommt.“ Oft passierte es im Urlaub, dass ein Angebot kam. „Dann saß ich am Strand und lernte Text, musste zu einer Kostümprobe, und plötzlich waren es nur noch eine Handvoll gemeinsame Tage. Es war mir einfach ganz wichtig, in diesen sechs Wochen komplett da zu sein.“

JEDERMANN mit den zwei großartigen Schauspielern Lars Eidinger und Verena Altenberger. (Foto Filmladen Filmverleih)
JEDERMANN mit den zwei großartigen Schauspielern Lars Eidinger und Verena Altenberger. (Foto Filmladen Filmverleih)

Dass Verena Altenberger und Lars Eidinger beim Spiel sehr gut harmonieren, haben sie schon öfters bewiesen. Lachend meine ich aber zu ihm, dass sie ziemlich zur gleichen Zeit eine Frisur-Diskussion hervorgerufen haben. „Was ich ehrlich gesagt interessant fand war, dass man an so kleinen Beispielen versteht, wie Öffentlichkeit funktioniert und wie es zu so einem Image kommt. Z.B. habe ich Verena gerade in einer Talk Show gesehen, in der sie mit der Frage konfrontiert wurde, dass Lars Eidinger gesagt hätte, mit Verena Altenberger zu spielen ist besser als Sex.“ Lächelnd meint er weiter: „Und ich denke, aha, ok, woher kommt das denn. Ich erzähle ihnen jetzt, wie es dazu kam. Es war die erste Pressekonferenz in Salzburg und es ging um eine Frage, wer da wen wahrscheinlich an die Wand spielt. Und da habe ich gesagt, so denke ich nicht. Man spielt Theater nicht gegeneinander sondern miteinander. Das ist genau wie man Sex nicht gegeneinander sondern miteinander macht. Das habe ich gesagt. Und dann hat der dort anwesende Journalist gesagt, ‚Aha, dann würden Sie sagen, mit Verena Altenberger zu spielen ist wie Sex.‘ Und dann habe ich glaube ich ja gesagt oder so. Aber daher kommt der Satz und aus nichts anderem. Was ich aber verblüffend finde ist, was letztendlich daraus wurde, nämlich Theaterspielen mit Verena Altenberger ist besser als Sex. Das hatte ich nie so gesagt, wurde aber plötzlich zu einem stehenden Begriff. Dabei ist so leicht nachzuvollziehen, woher er kommt. Und das hat ganz viel damit zu tun, was die Leute gerne gehabt hätten, dass ich gesagt habe und wie die Leute mich gerne sehen würden. Man wird dann in ein Image gepresst und alles, was im bildlichen Sinne übersteht, wird abgeschnitten.“

"Ich definiere mich über meinen Beruf. Ich kann verstehen, dass die Leute in mir den Schauspieler sehen. Aber ich sehe mich halt nicht als Schauspieler, ich bin auch Schauspieler", so Lars Eidinger. (Foto Filmladen Filmverleih)
„Ich definiere mich über meinen Beruf. Ich kann verstehen, dass die Leute in mir den Schauspieler sehen. Aber ich sehe mich halt nicht als Schauspieler, ich bin auch Schauspieler“, so Lars Eidinger. (Foto Filmladen Filmverleih)

DJ, Musiker und Fotograf
Erfolgreich ist Lars Eidinger auch als DJ, Musiker und Fotograf und ich möchte von ihm wissen, ob ihm das als Ausgleich dient. „Das ist auch sehr interessant“, meint er. „Ich habe einmal gelesen, dass man Kinder nicht immer fragen soll, was sie einmal werden wollen, weil es eigentlich der Eintritt in die Leistungsgesellschaft ist, und dass man Menschen nicht über ihren Beruf definieren sollte. Ich definiere mich auch nicht über meinen Beruf. Ich kann verstehen, dass die Leute in mir den Schauspieler sehen. Aber ich sehe mich halt nicht als Schauspieler, ich bin auch Schauspieler. Schon im Alter von 20 Jahren, als ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe, habe ich 1996 eine Schallplatte veröffentlicht. Das weiß auch kein Mensch. Jetzt heißt es, jetzt muss der Schauspieler auch noch Platten auflegen. Ich lege schon länger Platten auf als ich Schauspieler bin. Nur hatte ich damals nicht die Öffentlichkeit. Und fotografieren tue ich auch schon immer. Bei meiner Ausstellung im Vorjahr in der Wiener ALBA Gallery hing ein Bild, das ich mit 6 Jahren gemacht habe. Auch um zu zeigen, wie lange ich das schon mache. Aber die Leute tun sich schwer, nicht in diesen Kategorien oder Schubladen zu denken.“ Sehr offen erzählt er weiter: „Wenn ich jetzt eine Rolle spiele, dann will ich doch, dass die möglichst vielschichtig und komplex ist. Wenn ich dann aber gefragt werde, wer ist denn derjenige, den sie da spielen, das irritiert mich dann immer. Wenn ich sie jetzt fragen würde, wer sind sie denn eigentlich, darauf haben sie doch keine Antwort. Wie soll ich die Antwort haben für eine Figur, die ich spiele. Im besten Fall ist die Figur doch alles.“ Er erinnert sich an eine Signierstunde für sein Fotobuch in Berlin. „Da kam ein junger Fotograf auf mich zu und fragte, ob er ein Foto von mir machen dürfte. Ich sagte, ja klar. Und dann hat er vor dem Abdrücken gesagt, sei einfach nur du selbst. Und da musste ich total lachen, weil das ist, glaube ich das Schwerste. Was meinte er überhaupt damit? Und davon handelt ja die Dokumentation, daher auch SEIN ODER NICHT SEIN. Wer ist man eigentlich, oder wer sind wir eigentlich.“

Für den Dokumentarfilm LARS EIDINGER - SEIN ODER NICHT SEIN wurde er von Reiner Holzemer neun Monate lang ständig begleitet, was für ihn extrem anstrengend war. (Foto Filmladen Filmverleih)
Für den Dokumentarfilm LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN wurde er von Reiner Holzemer neun Monate lang ständig begleitet, was für ihn extrem anstrengend war. (Foto Filmladen Filmverleih)

Der erfolgreiche Schauspieler wirkte schon in einigen internationalen Produktionen mit und ich möchte von ihm wissen, ob sie zu unseren sehr unterschiedlich sind. „Ja, aber ehrlich gesagt, ist jeder Film so total unterschiedlich, dass ich immer verwundert bin, dass es dann doch der gleiche Beruf ist. Es ist an jedem Filmset eine ganz andere Welt. Ich fand es z.B. interessant, dass beim Hollywood-Film „White Noise“, den ich mit Noah Baumbach gemacht habe, es nur einen Menschen und nur einen Monitor am ganzen Set gab. Es ist ein Riesenapparat und da gibt es nur einen Menschen, der auf den Monitor schaut“, verrät er mir, „und das ist Noah Baumbach, kein anderer. Das ist doch interessant, das würde man so gar nicht erwarten. Und Noah möchte einfach, dass diese Intimität nur zwischen ihm und den Schauspieler*innen besteht und dass nicht schon ganz viele andere Leute draufgucken. Sonst denkt man bei seinem Spiel ja immer, Oh Gott, was denken die jetzt da draußen an den Monitoren. So weiß ich, der Einzige, der mir zuguckt, ist Noah. Das ist aber an allen Filmsets völlig unterschiedlich.“ Er erzählt weiter, dass er zwei Tage vor unserem Treffen einen Drehtag mit David Schalko hatte, der eine Serie über Franz Kafka dreht. „Da habe ich Rainer Maria Rilke gespielt. Es war zwar nur ein Drehtag, aber ich kam gerade von einem anderen Filmset in Deutschland, wo ich einen Film mit Matthias Glasner drehe. Und auch da habe ich gespürt, dass ich von einem Tag auf den anderen in eine komplett andere Welt kam.“ Das hat, wie er findet, vor allem mit der jeweiligen Regiepersönlichkeit zu tun.

Ich hatte 2021 das Glück, den großartigen Schauspieler bei einer Lesung in Salzburg zu erleben. (Foto Reinhard A. Sudy)
Ich hatte 2021 das Glück, den großartigen Schauspieler bei einer Lesung in Salzburg zu erleben. (Foto Reinhard A. Sudy)

Auf neue Projekte angesprochen meint Lars Eidinger, dass gerade einiges in den Mediatheken läuft. „Sie sind wirklich bemerkenswert, aber Corona-bedingt leider untergegangen und vor dem Lockdown nur 3 Tage im Kino gelaufen. Der eine ist NAHSCHUSS, ein eindringliches Drama über den letzten zum Tode verurteilten DDR Bürger, und das Drama „Schwesterlein“, in dem ich und Nina Hoss ein vom Tod bedrohtes Geschwisterpaar spielen. Ich würde mich sehr freuen, wenn die jetzt geschaut werden. Weiters habe ich eine Netflix Serie gedreht. Interessant ist, dass ich die nur gedreht habe, weil Adam Driver, mich dem Regisseur Shawn Levy empfohlen hat, der z.B. Stranger Things drehte. Daraufhin rief mich dieser an und meinte, Adam Driver hätte gesagt ‚You have to meet this actor, it’s the German me‘. Und dann habe ich die Rolle bekommen“, lächelt Lars Eidinger. Die Netflix Serie heißt „All the light we cannot see“ und kommt dieses Jahr auf Netflix.

Lars Eidinger ist ein unglaublich wandlungsfähiger Schauspieler und er wurde vom erfolgreichen amerikanischen Schauspieler Adam Driver sogar persönlich für die US-Netflix-Serie "All the Light We Cannot See" vorgeschlagen. (Foto Filmladen Filmverleih)
Lars Eidinger ist ein unglaublich wandlungsfähiger Schauspieler und er wurde vom erfolgreichen amerikanischen Schauspieler Adam Driver sogar persönlich für die US-Netflix-Serie „All the Light We Cannot See“ vorgeschlagen. (Foto Filmladen Filmverleih)

Weiters dreht er aktuell einen Film mit Matthias Glasner mit dem Titel „Sterben“ mit Lilith Stangenberg, Corinna Harfouch, Ronald Zehrfeld und Robert Gwisdek. „Im Anschluss drehe ich einen Film mit dem Regisseur Jan Bonny, der für mich einer der radikalsten und unabhängigsten deutschen Filmemacher ist. Der Film heißt „Panther“ nach Rilke. Da spiele ich einen V-Mann, der in einer Biker-Gang spioniert, und dann selbst spielsüchtig und Crystal Meth-abhängig wird.“

Das klingt nach sehr viel zu tun und wenig Zeit zu Hause. „Ja zu Hause bin ich auch gerne“, lacht Lars Eidinger. „Eigentlich bin ich verhältnismäßig viel zu Hause. Mein Vater ist damals auch morgens um 8 Uhr aus dem Haus gegangen und abends um 20 Uhr nach Hause gekommen, den habe ich also nur am Wochenende erlebt. Das unterscheidet sich dann gar nicht so.“ Auch dazu hat er eine nette Geschichte. „Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, sehe ich wie der Besitzer der Döner-Bude am Eck den Spieß von der Folie befreit. Und abends sehe ich, wie er die letzten Fleischscheiben runterschneidet. Der arbeitet also genauso lange wie ich und länger. Wir Schauspieler*innen sind diejenigen, die eigentlich am wenigsten arbeiten am Filmset“, meint er, „wir kommen als letztes und gehen als erstes. Die anderen arbeiten viel mehr und ich frage mich oft, wann die ihre Familien sehen“, meint er in seiner sehr bescheidenen Art.

Großes Beitragsfoto: Lars Eidinger lässt in der Dokumentation über ihn „LARS EIDINGER – SEIN ODER NICHT SEIN“ einige sehr persönliche Einblicke bei der Erarbeitung neuer Rollen zu. (Foto Filmladen Filmverleih)

 

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