Ex-Leitungs-Duo DIAGONALE Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger

Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger als Leitungsduo des Filmfestivals Diagonale in Graz bestand der Anspruch der „Diagonale“ immer darin, einen repräsentativen Querschnitt abzubilden. (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)Im März haben sich Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger als Leitungsduo des Filmfestivals Diagonale in Graz verabschiedet. Für die beiden bestand der Anspruch der „Diagonale“ immer darin, einen repräsentativen Querschnitt abzubilden. Während Schernhuber sich auf seine neue Aufgabe als Leiter der Abteilung Film im Kulturministerium freut, sondiert Höglinger noch seine Möglichkeiten.

Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger bei der Präsentation des Programms für die Diagonale 2023. (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)
Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger bei der Präsentation des Programms für die Diagonale 2023. (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)

„Seit unserer ersten Festivalausgabe 2016 war es uns ein Anliegen, die Diagonale als Ort des Austauschs und der Gastlichkeit zu positionieren, als Ort gelebter Filmkultur und als Plattform für einen möglichst breit gedachten Begriff von Filmschaffen, für Austausch zwischen aktuellen und historischen Positionen, mitunter für Streit und filmpolitische Diskussionen.

Ihr habt Euch mit einer sehr erfolgreichen letzten Diagonale verabschiedet. Ist Euch alles gelungen, was Ihr Euch vorgenommen habt?
Peter lächelnd: Diese Frage müsste man ans Publikum und die Gäste richten. Aber ja, wir sind über weite Strecken zufrieden, das muss man auch einmal sagen. Gleichzeitig gelingt nie alles, das ist bei einem Festival immer so. Ein Festival ist eine dynamische Veranstaltungsform, es gibt Faktoren von außen und nicht zuletzt hat uns Corona drei Jahre lang begleitet. In Summe sind wir aber zufrieden.

Sebastian: Ja absolut. Es ist schon eine gute Edition gewesen mit großem Medienecho. Man hat das Gefühl gehabt, das Publikum ist zurück und das sogar in größerer Menge als vor Corona. Ich glaube, in Summe war es ein wirklich schönes Programm. Natürlich hat sich vieles ergeben, das man nicht immer beeinflussen kann, denn es ist ja alles immer in Bewegung und hat diese extreme Verdichtung. Dann geht es darum, schnell zu reagieren. Für uns ist das Schöne am Prinzip Festival schon auch diese Unmöglichkeit. Daraus entstand auch unser Feuer für das Format, man arbeitet ein Jahr auf diese eine Woche hin und dann schaut man, wie das Angebot angenommen wird. 

Großer Diagonale-Schauspielpreis’23 ging an Schauspielerin Margarethe Tiesel. Im Bild mit Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger. (Foto Diagonale / Clara Wildberg)
Großer Diagonale-Schauspielpreis’23 ging an Schauspielerin Margarethe Tiesel. Im Bild mit Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger. (Foto Diagonale / Clara Wildberg)

Es passiert manchen Organisatoren, dass sie nach einem intensiven abgeschlossenen Projekt in ein Loch fallen. Kennt ihr das auch?
Sebastian: Ich kenne das gar nicht, weiß aber, dass es einigen Kollegen von uns so geht. Ich bin richtig glücklich, wenn Sachen vorbei sind. Während alles passiert, bin ich immer sehr angespannt und kann erst danach so richtig genießen – wenn im besten Fall alles gelungen ist. Für mich ist es dann die schönste Zeit, wenn man reflektiert und versucht durchzuatmen. Aber das geht mir bei allen Dingen so und hat so gesehen nichts mit der Festivalarbeit zu tun.

Peter: Mir geht es über weite Strecken auch so, dass ich in kein Loch falle. Das Einzige, was danach ungewohnt ist, ist die Geschwindigkeit. Das Festival verändert den täglichen Rhythmus massiv, wochen- und sogar monatelang denkt man an das Festival. Man denkt daran, wenn man aufsteht, und noch immer, wenn man zu Bett geht. Die Verdichtung in einer Festivalwoche, die sehr viel Organisationsgeist erfordert, ist schon was anderes, als wenn man ein paar Tage danach wieder in den Alltag zurückkommt. Das ist das Markanteste, aber ein Loch in dem Sinne war es eigentlich nie, im Gegenteil, es war Erleichterung.

Ihr habt beide Film- und Medienwissenschaften studiert. Wo habt ihr Euch kennengelernt?
Peter: In Linz, beim Crossing Europe Filmfestival Linz. Zusammengefunden haben wir dann bei der Diagonale, als wir beide dort als Praktikanten angefangen haben. Danach trafen wir uns in Wels im Medien Kultur Haus, das ist ein Mehrspartenkulturhaus. Als der damalige Leiter des dort ansässigen Filmfestivals sehr früh verstarb, durften wir das „YOUKI – Jugend Medien Festival“ übernehmen. Es war eigentlich eine glückliche Fügung, dass wir uns kurz zuvor kennengelernt haben und dann eben gemeinsam in die Youki hineingewachsen sind.

„Ich würde sagen, die zentrale Kraft war der Humor. Wir haben versucht, die Diagonale ernst zu nehmen und alles, was damit in Verbindung steht. Aber wir haben versucht, uns selbst nicht allzu ernst zu nehmen“, sind sich Schernhuber und Höglinger einig. (Foto Diagonale)
„Ich würde sagen, die zentrale Kraft war der Humor. Wir haben versucht, die Diagonale ernst zu nehmen und alles, was damit in Verbindung steht. Aber wir haben versucht, uns selbst nicht allzu ernst zu nehmen“, sind sich Schernhuber und Höglinger einig. (Foto Diagonale)

War für Euch immer schon klar, dass Ihr einmal im Bereich „Film“ arbeiten wollt?
Peter: Bei mir war es überhaupt nicht so. Als damals das Mehrspartenkulturhaus eröffnet hat, war es einfach das Feuer des damaligen YOUKI-Leiters [MOU1] Hans Schoiswohl, der es geschafft hat, Jugendliche zu involvieren, partizipieren zu lassen. Er hat eigentlich was ganz Banales gemacht, hat z.B. an Jugendliche kleine Projektbudgets verteilt und von ihnen verlangt, dass sie damit ein Projekt umsetzen. Dabei ließ er ihnen große Freiheiten, danach mussten sie dann eine Abrechnung vorlegen. Er war ein großer Filmfan und dadurch hat sich jetzt für mich der Film ergeben. Es hätte genauso Sport oder Autorennen sein können. Es war eher das Feuer und der Enthusiasmus, der so ansteckend war.

Sebastian: Bei mir war es immer schon die Faszination für Kino-Orte. Wir sind beide aus einer Generation, die selbstverständlich mit Kino sozialisiert wurde. Mich haben diese Orte fasziniert, vielleicht zunächst mehr als das, was ich dann auf der Leinwand gesehen habe. Es war nicht so eine extreme Fokussierung auf den Film, schon aber eine gewisse Leidenschaft, die damit einherging. Viel wichtiger war für mich dann aber der erste Kontakt mit Filmfestivals – damals noch in wirklich ganz kleinen Funktionen –, wo ich das Gefühl gehabt habe, das sind Leute, mit denen möchte ich arbeiten. Das Nachdenken darüber, wie die Filme auf ein Publikum wirken, Fragen wie Gastlichkeit, die da mitspielen, und auch diese flachen Hierarchien – obwohl man bei diesem Begriff immer aufpassen muss – gaben mir das Gefühl, dass man doch relativ ernst genommen wird, auch wenn man noch nicht so lange dabei ist. Und das hat so eine Dynamik bekommen, dass ich dachte, in diesem Bereich möchte ich arbeiten, und dann war es auf einmal wirklich sehr zentral für mich und es kam die extreme Vertiefung.

„Wir haben uns eigentlich über die Musik schätzen gelernt und teilen viele Gemeinsamkeiten auch außerhalb des Films. Das macht es dann oft aus“, so Peter Schernhuber.

Peter: Für uns war auch Musik immer sehr wichtig. Ich glaube, übergeordnet geht es um so etwas wie Lebensfreude, um einen Genuss. Kultur kann ja auch Gefängnis sein, wenn man aus seiner eigenen Kultur aus unterschiedlichsten Gründen ausbrechen, sie hinter sich lassen und in eine andere Form von Kultur wechseln will, gleichzeitig kann das ein Ort sein, wo Lebensfreude entsteht, und das haben wir bei Festivals sehr sehr schnell für uns entdeckt. Wo man in manchen Konzerten spürte, wow, das verändert etwas.

Sebastian: Das Größer zu denken hat in Wels auch Spaß gemacht. Im Kern war bei der YOUKI der Filmwettbewerb für Nachwuchs-Filmschaffende. Rundherum haben wir versucht, ein Environment zu schaffen, wo sich Menschen auch wohlfühlen. Wir haben versucht für Diskussionsveranstaltungen unsere Idole einzuladen. Eigentlich war alles sehr größenwahnsinnig aufgezogen (er lacht). Aber dieses Zusammenspiel der unterschiedlichen popkulturellen Künste und Theorien war irgendwie das, was den Spaß gebracht hat.  

Peter: Das war halt das Reizvolle am Format Festival: immer Kino mit Zugabe. Sebastian und ich haben doch einen kleineren Altersunterschied, der sich in unserer Kinosozialisierung bemerkbar macht, dennoch konnten wir beide noch mit Kino aufwachsen. Bei den Festivals ging es hingegen immer um Filmerfahrung mit einer Zugabe, beispielsweise ein Gespräch im Anschluss an die Vorstellung. Man könnte sagen Eventisierung, aber das ist für uns ein total positiver Begriff.

Sebastian Höglinger: "Wir haben den Spruch für uns formuliert: Die Jungen holen, die Alten halten." (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)
Sebastian Höglinger: „Wir haben den Spruch für uns formuliert: Die Jungen holen, die Alten halten.“ (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)

War es nicht auch immer Euer Anspruch, junge und jung gebliebene Menschen gemeinsam zu Festivals und in die Kinos zu bringen?
Sebastian: Wir haben ja diesen Spruch für uns formuliert: Die Jungen holen, die Alten halten. Wir wollten mit ‚Jetzt kommen die Jungen‘ die Filmschaffenden, die sich über Jahrzehnte verdient gemacht haben, nicht vor den Kopf stoßen. Diese Gefahr gibt es auch. Andererseits ist das Festival des österreichischen Films mit seiner doch sehr nischigen Fokussierung nicht von vornherein etwas, von dem man sagen würde, das ist das, auf das die Jugend wartet.

Es gibt aber sehr Vieles für die Jungen zu entdecken und es gibt eine junge Branche, die nachrückt. Es gibt in Graz junge Initiativen wie Cinema Talks, also Leute, die versuchen, Filmkultur aus einer anderen Generation zu denken und für alle eine Plattform zu sein. Sie einzuladen dabei zu sein, sie ernst zu nehmen, das war ein wichtiger Anspruch von uns, der in manchen Punkten gut und in anderen weniger gut funktioniert hat. Wir wollten nie eine Nachwuchsschiene sein, die dann halbherzig im Programm mitschwimmt, sondern wenn Junge gute Filme machen, sollen diese auch im Wettbewerb laufen. Wenn man ein Angebot für junge Leute schafft, muss es nicht immer nur der „lustige Jugendfilm“ sein. Man kann das junge Publikum ernst nehmen und an Kino heranführen, was bei YOUKI ganz gut funktioniert hat, und was auf ganz andere Weise bei der Diagonale unser Anspruch war.

Wie schwierig ist es, Filme breit auszuwählen?
Peter: Zum einen war es schon mal gut, zu zweit zu sein, da hat man immer gleich eine Diskussion. Natürlich ist es schwer, aber wichtig ist vor allem, dass man allen Einreichungen Wertschätzung entgegenbringt. Man muss sich vor Augen führen, für uns ist es eine Einreichung, aber für diejenigen, die den Film machen, ist das jahrelange Arbeit, oft ein Lebenstraum. Teilweise wird ja das Innerste in Filmen preisgegeben und deshalb braucht es einen gewissen Respekt für diese Arbeiten. Wir haben lange überlegt, was ein Kriterium sein kann und was irgendwie einen Vergleich möglich macht, denn bei der Diagonale laufen studentische Filme genauso wie teuer produzierte internationale Filme und Co-Produktionen. Wir kamen an den Punkt: es geht immer um den Anspruch, den ein Film an sich selber formuliert. Es ist ein Unterschied, ob ich gerne ein Experiment wage und schaue, was rauskommt, ob ich die Agenda verfolge, mit einem Dokumentarfilm in Welten zu führen, die vorher unbekannt waren, oder mit einem Spielfilm eine Geschichte mit international besetzten Starschauspielern erzähle. Mit Blick auf den Anspruch, den ein Film an sich selber formuliert sowie unter Berücksichtigung der produktionstechnischen Rahmenbedingungen, lässt sich eine gewisse Vergleichbarkeit herstellen wiewohl immer eine Lücke bleiben wird.

Sebastian: Und eine gewisse Auswahl macht ja den Reiz aus. Es braucht, glaube ich, auch die Angreifbarkeit bei einem Festival dieser Größenordnung, sonst wird es beliebig. Wir hatten natürlich externe Sichtungsberaterinnen dabei, um die Festivalpragmatismen, in die man unfreiwillig aber sicher immer mehr und mehr verfällt, etwas auszublenden oder abzufedern. Aber ganz klar, man ermöglicht viel und verhindert auch viel, weil sich bei jeder Auswahl der eigene Geschmack einfach nicht ganz ausblenden lässt.  

Peter: Es geht immer darum, dass alles nachvollziehbar ist und dass man dazu steht. Man braucht sich nicht – was man in Österreich gerne macht – in so eine Pseudoneutralität retten (er schmunzelt). Das ist nicht angebracht in diesem Job.

Sebastian: Das war mit ein Grund, dass wir sagten, wir wollen diesen Job nicht ewig machen. Es muss nach einer gewissen Phase einen Wechsel geben und neue Perspektiven.

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber mit Urs Harnik-Lauris, Energie Steiermark AG, und Sponsor der Diagonale Graz. (Foto Diagonale / Clara Wildberger)
Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber mit Urs Harnik-Lauris, Energie Steiermark AG, und Sponsor der Diagonale Graz. (Foto Diagonale / Clara Wildberger)

Man spürt ja, wie gut Ihr Euch versteht. Wie lange habt Ihr eigentlich an Euren tollen Eröffnungsreden gearbeitet?
Sebastian: Es waren immer nur wenige Tage vor der Eröffnung. Da wir ja unabhängig von unserer Freundschaft viel Zeit miteinander verbringen, reden wir über alles Mögliche und das ganze Jahr ist so ein Reflexionsprozess, wo wir uns Gedanken machen, was bei der Eröffnungsrede oder gewissen offiziellen Anlässen Thema sein könnte.

Was wir, glaube ich, geschafft haben, ist, dass wir untereinander die Eitelkeit ein bisschen abgeschafft haben. Es ist immer so, einer von uns beginnt zu schreiben, dann kommt der andere und zerstört diesen Text (beide lachen), ergänzt Gedanken mit teilweise sehr offenen Rückfragen, was das Ganze soll. Über die Jahre haben wir etabliert, dass Beleidigtsein überhaupt keinen Platz hat, sondern es wirklich ein Prozess ist, in dem es hin und her geht, und manchmal holt man schon verworfene Gedanken wieder zurück. Es ist ein gemeinsames Schreiben, ohne dass man jemals gemeinsam nebeneinander sitzt – so wie wir das letztlich auch vortragen. Und mit viel Humor untereinander. Das ist etwas, was man nicht lernen kann, das ist ein Glücksfall, dass man genau diese passende Person zum Zusammenarbeiten findet. Wenn das nicht so ist, sollte man es wahrscheinlich bleiben lassen, an so eine Art von gemeinsamer Rede überhaupt zu denken (beide lachen wieder).

Peter: Ich glaube dazu kam, dass wir auf eine gewisse Art und Weise sehr unterschiedlich sind. Wir haben das Unterschiedliche aber nicht betont oder herausgestellt, sondern wir haben immer versucht, nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Trotzdem ist es wichtig, dass man als sehr unterschiedliche Menschen sehr unterschiedliche Eindrücke hat. Und wenn ich jetzt im Nachhinein über die acht Jahre Diagonale oder insgesamt 15 Jahre Festivaltätigkeit nachdenke, fand ich es schon immer schön, wie reichhaltig dieser Beruf ist. Man wird sozusagen Sammler von Bildern und Eindrücken. All diese sind dann das Entscheidende für die Rede, die man in den Tagen zuvor zu Papier bringt.

Sebastian: Diese Rede schon über einen längeren Zeitraum vorzubereiten wäre auch wenig sinnvoll, weil ja dann trotzdem – auch wenn man es zumeist gerne aussparen würde – irgendwelche tagespolitischen Themen die Situation nochmal verändern können.

Sebastian Höglinger bei der Präsentation des Diagonale-Programms 2023 in Graz. (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)
Sebastian Höglinger bei der Präsentation des Diagonale-Programms 2023 in Graz. (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)

Wolltet Ihr in Eurer Rede auch eine Message mitgeben?
Peter: Uns ging es gar nicht so darum eine Message mitzugeben, wir wollten Eindrücke schildern und der Anspruch war immer, eine klare Meinung darzulegen. Es kann ja nichts Schöneres passieren, als dass jemand anderer Meinung ist und dann diskutiert wird. Was wir vor allem in den letzten Jahren gemerkt haben, ist, dass der gesamte Kulturbetrieb tendenziell sehr moralisch wird und dass man schnell in Diskussionen reinrutscht, die mit Kunst und Kultur nichts zu tun haben und die eigentlich ins Politische gehören. Und da war es uns wichtig, doch eine gewisse Trennschärfe zu haben. Weil ich glaube, dass es verzichtbar ist, als Moralapostel am Anfang eines Festivals zu stehen.

Sebastian: Was einige Leute aber sicher so wahrgenommen haben werden, das geht damit einher und ist auch ok.

Wenn Ihr auf diese 15 Jahre zurückseht, was sind die spürbar größten Veränderungen?
Sebastian: Aus unserem zentralen Bereich Kino, Film und Adressierung des Publikums sprechend, ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Es hat sich alles verändert. Stichwort Streaming, und natürlich hat Corona die Situation nochmals verschärft. Wir sprachen bei der Herfahrt darüber, dass, wenn man jetzt in Wien abends ins Kino oder eine Veranstaltung geht, alles sehr gut besucht ist. Das darf man jetzt nicht verklären oder zu optimistisch sehen, aber es ist eine merklich andere Stimmung als noch vor ein paar Monaten. Auf der anderen Seite muss man sich halt mit den neuen Verwertungszyklen und Strategien auseinandersetzen und die Bedeutung von Festivals hinterfragen. Hinzu kommt, als wir vor acht Jahren ins Festival eingestiegen sind, haben wir selbst ganz anders kommuniziert, haben versucht, Social Media in die Gänge zu bringen, das damals vergleichsweise noch in den Kinderschuhen war. Es haben sich auch die Notwendigkeiten und Verpflichtungen völlig verändert.

Peter Schernhuber erinnert sich: "Als wir vor acht Jahren ins Festival eingestiegen sind, haben wir selbst ganz anders kommuniziert, haben versucht, Social Media in die Gänge zu bringen, das damals vergleichsweise noch in den Kinderschuhen war." (Foto Diagonale / Clara Wildberger)
Peter Schernhuber erinnert sich: „Als wir vor acht Jahren ins Festival eingestiegen sind, haben wir selbst ganz anders kommuniziert, haben versucht, Social Media in die Gänge zu bringen, das damals vergleichsweise noch in den Kinderschuhen war.“ (Foto Diagonale / Clara Wildberger)

Man könnte also sagen, es war eine ganz andere Zeit ?
Peter: Ja, dass sich alles so verdichtet und so schnell stattfindet, ist natürlich ein zentraler Aspekt. Dieses enorme Tempo innerhalb eines Zeitraums von nur acht Jahren ist eigentlich bizarr.

Sebastian: Beim Aufräumen des Büros haben wir darüber nachgedacht, wo unsere Zeit bei der Diagonale begonnen hat. Im ersten Jahr sind wir beide lustigerweise in so einem Zwischenraum gesessen und haben den ganzen Tag DVD-Rohlinge für Moderatoren, Presse usw. gebrannt. Das ist z.B. etwas, das es in dieser Form gar nicht mehr gibt.

Jeder von Euch hat so seine Stärken. Sebastian, welche schätzt Du an Peter?
Sebastian: Peter hat eine extreme Eloquenz und Ruhe, auch so ein gewisses diplomatisches Geschick. Ich bin mehr der Luftikus (er lacht). Ich finde, das ist schon eine extreme Gabe, unterschiedlichste Bereiche dieses Jobs intellektuell zusammen zu bringen. Ich kenne wenig Menschen, die auf so vielen unterschiedlichen Hochzeiten tanzen, alles im Kopf und intellektuell in kürzester Zeit auf einen Punkt bringen können und auf Dinge reagieren. Darum gibt es auch immer die Betrachtung von außen, dass Peter eher der Politiker ist, und da würde ich sagen, es stimmt. Und trotzdem auch ein bisschen widersprechen, weil ich finde, dass dadurch dieses extreme kreative Potential ein wenig ins Hintertreffen kommt.

Peter: Das ist sehr lieb (lächelnd). Was ich wahnsinnig an Sebastian bewundere, ist, dass er eine ganz klare Haltung zu vielen Dingen hat und eine wahnsinnige Vehemenz, diese Haltung auch zu vertreten. Und ich glaube, wenn er jetzt dieses Politikerdasein anspricht, oder diese Aspekte, wo man dann ins Pragmaitische rutscht, finde ich es immer wieder bewundernswert, wie klar und vehement Sebastian an Dingen draufgeblieben ist, sie immer wieder eingefordert hat. Und dann gibt es natürlich viele andere Aspekte, wie diesen unglaublichen Elan, diese Sportlichkeit – obwohl ich glaube, dass wir keine sportlichen Menschen sind –, diese kraftvolle Vitalität bis spät in die Nacht, und noch immer einen draufzusetzen.

Das klingt aber sehr anstrengend, werfe ich ein.

Nein, das ist das Gegenteil von anstrengend. Denn bei so einem Format wie dem Festival ist das sehr wichtig, und das habe ich schon immer sehr bewundert. Ich habe auch wahnsinnig viel gelernt von ihm. Er hat eine unglaubliche Empathie in Momenten, wo es bei mir schon auch mal aus war. Sei es mit Menschen, in manchen schwierigen Situationen oder bei der Teamführung. Wenn ich mal zugemacht habe, sagte er ‚Schau, da ist doch was, das muss man so sehen…‘, dieses extreme soziale Gespür schätze ich sehr an ihm.

Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger gestalteten im Mai den Abend "Postcards from Styria" in Brüssel. Mit dabei war der steirische Filmemacher David Lapuch, der bei der Diagonale 2023 mit "Cornetto im Gras" den Kurzspielfilmpreis gewonnen hat. (Foto Vincent Seidl)
Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger gestalteten im Mai den Abend „Postcards from Styria“ in Brüssel. Mit dabei war der steirische Filmemacher David Lapuch, der bei der Diagonale 2023 mit „Cornetto im Gras“ den Kurzspielfilmpreis gewonnen hat. (Foto Vincent Seidl)

Jetzt habt ihr noch ein Projekt im Rahmen der Art Steiermark in Brüssel organisiert?
Sebastian: Ja, am 23. Mai gestalteten wir den Abend „Postcards from Styria“. Dabei stellte sich die Diagonale mit zwei Filmprogrammen vor und versandte filmische Steiermark-Grüße. Mit dabei war David Lapuch, der bei der Diagonale gerade den Kurzspielfilmpreis gewonnen hat. Lapuch ist ein Filmemacher, der vielleicht für viele überraschend aus dem Nichts kommt, aber wir sind schon langjährige Fans seiner Arbeit und glauben, dass er eines der ganz großen Talente dieses Landes ist. Der Preis für seinen Film Cornetto im Gras war für uns natürlich eine schöne Klammer, die sich da geschlossen hat: die beste Festival-Edition, ein Filmemacher aus Graz, den wir wahnsinnig schätzen und der so nochmal diese Anerkennung bekam.

Peter, Du weißt schon, wie es bei Dir weitergeht, Du wirst Leiter der Abteilung Film im Kulturministerium und bleibst also im Bereich Film?
Peter: Ja, aber trotzdem ist es etwas ganz anderes. Das war von mir gar nicht geplant, bis sich die Möglichkeit aufgetan hat, mich für diese Stelle zu bewerben. Inhaltlich kann ich jetzt natürlich noch gar nicht viel sagen. Uns beiden war klar, dass wir natürlich gerne zusammengearbeitet haben aber unsere Lebensrealitäten unterschiedliche sind. Deswegen werden wir nicht getrennt sein und es wird immer wieder Projekte geben, die wir gemeinsam machen werden. Mit meinem zukünftigen Job geht für mich auch ein Rollenwechsel einher in der Form von Raustreten aus der Öffentlichkeit. Nach acht Jahren Eröffnungsreden halten ist man zwar keine öffentliche Person, wie z.B. ein berühmter Schauspieler, aber trotzdem stand man in der Öffentlichkeit. Ich glaube, es ist gut, jetzt mal einen Schritt in den Hintergrund zu treten. Fragen betreffend Struktur, Organisation und Rahmenbedingungen haben mich immer schon interessiert, ich weiß aber, dass diese neue Aufgabe in keinster Form mit dem Gestaltungspotential verwechselt werden darf, das wir jetzt acht Jahre gehabt haben. Das Kapitel ist geschlossen. Jetzt geht es darum, bei der Schaffung bestmöglicher Rahmenbedingungen mitzuwirken, die es Künstlerinnen ermöglichen, ihre kreativen Vorhaben umzusetzen und so zum filmkulturellen Zusammenleben beizutragen.

Sebastian Höglinger freut sich nach acht Jahren Diagonale auf neue spannende Aufgaben. (Foto Diagonale / Theresa Wey)
Sebastian Höglinger freut sich nach acht Jahren Diagonale auf neue spannende Aufgaben. (Foto Diagonale / Theresa Wey)

Sebastian: Bei mir ist noch totale Offenheit, aber das war mir auch wichtig. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich so eine sichtbare Zäsur, gehe nicht direkt in eine andere Aufgabe über. Das hat man nicht allzu oft im Leben und deshalb will ich die Zeit produktiv nutzen, um nachzudenken, wohin ich eigentlich möchte. Es ergeben sich so viele neue Dinge, gegen die ich mich nicht wehre – aber tatsächlich umarme ich die Situation und Möglichkeit, in Ruhe nachzudenken.

Ihr lebt beide in Wien, Peter Du mit Familie. Neben Job und Familie habt ihr noch Hobbys, was macht Euch Spaß und wie erholt Ihr Euch, tankt Ihr Kraft?
Sebastian lachend: Essen.

Peter meint auch lachend: Ich glaube, es ist tatsächlich so. Wir sind nicht die Typen, die gemeinsam Marathon laufen oder Bergtouren gehen, wir gehen lieber essen oder trinken einen guten Wein. Dabei spielt ehrlich gesagt auch Graz eine Rolle. Ich glaube, obwohl oder gerade weil wir das Festival so intensiv angelegt haben und es auch zur Ganzheitlichkeit passt, war es so, dass wir abends, wenn wir dann privat waren – was man ja nie ganz ist – meist gemütlich mit Gästen oder Freunden Essen gegangen sind. Und das war in Graz besonders toll.

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber sind große Fans der Stadt Graz. (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)
Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber sind große Fans der Stadt Graz. (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)

Sebastian: Du schiebst jetzt deine Unsportlichkeit auf Graz (wieder lachend).

Peter: Nein, das nicht. Aber ich habe zwei Kinder im Alter von 3 und 6 Jahren, da bleibt nicht soviel Zeit.

Und Du bist der liebe Onkel, frage ich Sebastian?
Sebastian: Ja, immer wieder. Ich glaube, dass sich das jetzt durch die berufliche Trennung sogar intensivieren könnte. Wir haben zwar beruflich sehr viel Zeit gemeinsam verbracht, aber nicht unbedingt die Wochenenden. Das könnte sich im Privaten jetzt viel öfter ergeben als früher.

Diese Liebe für Essen und Trinken ist bei mir zentral, überhaupt die Geselligkeit. Ich merke, dass ich mich in den Coronajahren in eine Wolke zurückgezogen habe, gewandert bin und alles viel ruhiger im kleinen Kreis gemacht habe. Jetzt bin ich in einer Phase, wo ich versuche, irgendwie alles, z.B. auch das Konzertleben wieder intensiver wahrzunehmen. Punktuell liebe ich Sport, aber leider sind das immer nur so punktuelle Ausflüge (er lacht). Ich bin ein großer Fußballfan, gehe leidenschaftlich gerne ins Stadion, und hin und wieder spiele ich ganz gerne Tennis oder Badminton (jetzt lachen beide). Aber was mir immer wichtig war, und das ist auch etwas, was uns verbindet, bei Kultur und speziell im Filmbereich habe ich das Gefühl, dass sehr viele Menschen rein auf Filme fokussiert sind – und das war es für mich nie. Ich liebe es, ins Theater zu gehen, Performances anzusehen, Ausstellungen und Konzerte zu besuchen. Aber ich mag es auch sehr, z.B. beim Fußball mit Menschen in Berührung zu kommen, die ganz anders leben, anders ticken. Das finde ich sehr bereichernd.

Habt Ihr einen Rat oder besser einen Wunsch für Eure Nachfolger?

Ab Juli 2023 verantworten Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh die Diagonale. Habt Ihr einen Rat oder besser einen Wunsch für Eure Nachfolger?
Peter: Ratschlag weniger, aber wir wünschen Ihnen, und das ist das Wichtigste, dass sie Freude daran haben. Die Diagonale bietet soviel an Filmen und künstlerischen Ausdrucksformen. Und natürlich Freude an Graz. Graz hilft bei dem Job extrem. Durch die Konzentrierung der Filmbranche auf Wien entsteht immer eine Art Spagat zwischen Wien und Graz. Wir haben aber immer ehrliche Leidenschaft für diese Stadt gehabt und für die unterschiedlichen Szenen, die hier wirklich sehr bereichernd sind. Ich glaube, wenn man diese Freude nicht hat, macht es deutlich weniger Spaß, aber ich glaube, die beiden werden eine schöne Zeit haben.

(Foto Diagonale / Sebastian Reiser)

Die Geschichte der Diagonale beginnt in den späten 1970er-Jahren in Velden am Wörthersee, wo erstmals österreichische Filmtage stattfanden, und führte dann über Kapfenberg nach Wels und Salzburg. Seit 1998 läutet die Diagonale alljährlich in Graz den Filmfrühling ein. Hier an der Mur hat das Festival des österreichischen Films seine volle Strahlkraft entfaltet.

Die profunden Kenner der Filmwirtschaft und des Filmschaffens in Österreich …
„Seit unserer ersten Festivalausgabe 2016 war es uns ein Anliegen, die Diagonale als Ort des Austauschs und der Gastlichkeit zu positionieren, als Ort gelebter Filmkultur und als Plattform für einen möglichst breit gedachten Begriff von Filmschaffen, für Austausch zwischen aktuellen und historischen Positionen, mitunter für Streit und filmpolitische Diskussionen. Nach den schwierigen Jahren der Pandemie freuen wir uns, dass es gelungen ist, mit der letzten von uns verantworteten Festivaledition noch einen gewichtigen Marker in der Geschichte der Diagonale gesetzt zu haben: Außer über das große mediale und internationale Interesse an den Premieren, Wiederaufführungen und Spezialprogrammen der diesjährigen Festivalausgabe freuen wir uns insbesondere über den erneut erstarkten Publikumszuspruch. Noch nie haben mehr Besucher*innen die Diagonale-Kinos aufgesucht, noch nie wurden mehr Tickets gelöst. Das große Aufzeigen des österreichischen Films in Graz möchten wir als Appell formulieren: dafür nämlich, den österreichischen Film und die Kinos auch außerhalb der Festivalwoche zu besuchen. Let there be cinema! Verflixt nochmal.“
—- Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber, Festivalleitung —-

Großes Beitragsfoto: Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger eröffneten zum letzten Mal die Diagonale in Graz. (Foto Diagonale / Sebastian Reiser)

Share Button

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*