„ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN“ unter der Regie von Josef Hader

Film "Andrea lässt sich scheiden" - Mitwirkende Maria Hofstätter. (Foto Darryl Oswald/wega film)Mit seiner zweiten Regiearbeit beweist Ausnahmetalent Josef Hader erneut, dass das Tragikomische die beste Abbildung dessen ist, was man Leben nennt. In ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN, für das Hader zusammen mit Florian Kloibhofer auch das Drehbuch verfasste, erzählt er von unverwirklichten Träumen, verpasstem Glück und schicksalhaften Begegnungen – eine scharfsinnig beobachtende Analyse einer Dorfgesellschaft und ein Plädoyer gegen jede Landlebensehnsucht.

Film ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN von und mit Josef Hader und mit Birgit Minichmayr. (Foto Darryl Oswald / wega film)
Film ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN von und mit Josef Hader und mit Birgit Minichmayr. (Foto Darryl Oswald / wega film)

Film ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN
Andrea, eine Polizistin in der niederösterreichischen Provinz, möchte ihre unglückliche Ehe beenden und in St. Pölten eine neue Stelle als Kriminalinspektorin beginnen. Nach einer Geburtstagsfeier läuft ihr der Noch-Ehemann betrunken vors Auto. Im Schock begeht Andrea Fahrerflucht. Dann erlebt sie mit Erstaunen, wie jemand anderer ihre Schuld bereitwillig auf sich nimmt: Franz, ein Religionslehrer und trockener Alkoholiker, hält sich für den Täter und wird auch von allen anderen im Dorf dafür gehalten. Während Franz wieder zu trinken beginnt und zielsicher seinem Untergang entgegen taumelt, bemüht Andrea sich, ihre Spuren zu verwischen.
Das ist der Beginn einer weiblichen Emanzipationsgeschichte. Und der einzige Mann, der dabei hilfreich sein kann, ist naturgemäß ein vollkommen hilfloser. Josef Hader und einem großartigen Cast ist ein Film gelungen mit vielen Zwischentönen, die miteinander eine große Resonanz entwickeln. Der Humor übertönt nie die Melancholie. Das Absurde und Lustige findet in der Tragik statt. Der lokale Tonfall sitzt gut, die Enge der Provinz ist mit Händen greifbar: Ein verwunschenes Land, in dem keine böseren Menschen wohnen als anderswo. Nur eine dickere Haut haben sie sich hier wachsen lassen gegen den Wind und gegen mögliche Verletzungen, und jetzt verletzten sie andere, die sich wieder eine dicke Haut wachsen lassen müssen. Hier wird sich so schnell nichts ändern. Wem das nicht passt, der muss fort gehen.

Birgit Minichmayr spielt in ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN eine Polizistin in der niederösterreichischen Provinz, möchte ihre unglückliche Ehe beenden und in St. Pölten eine neue Stelle als Kriminalinspektorin beginnen. (Foto wega film)
Birgit Minichmayr spielt in ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN eine Polizistin in der niederösterreichischen Provinz, möchte ihre unglückliche Ehe beenden und in St. Pölten eine neue Stelle als Kriminalinspektorin beginnen. (Foto wega film)

Josef Hader hat für ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN ein erstklassiges Ensemble vor der Kamera vereint: An seiner Seite spielen neben Birgit Minichmayr in der Titelrolle u.a. Thomas Schubert, Robert Stadlober, Branko Samarovski , Thomas Stipsits sowie Maria Hofstätter.

Die Frauen ziehen weg und die Männer werden immer komischer, sagt einer der Männer im Film. Der halsstarrige, einsame Bauer, der demente Vater, der Waffennarr, der sich verbarrikadiert, aggressiver und stiller Alkoholismus, die permanente, mehr oder weniger plumpe Anmache. Haben Sie versucht, ein Psychogramm der männlichen Befindlichkeit am Land zu zeichnen?
JOSEF HADER: „Dass in solchen Landschaften eher die Männer übrig bleiben als die Frauen, ist kein österreichisches Phänomen. Männer, die sich – oft mit Waffen, auf alle Fälle mit Alkohol – in ihren verfallenden Häusern verschanzen, das zieht sich mindestens von Brandenburg bis Nordfrankreich. Die Provinz ist nichts Österreichisches, das ist etwas sehr Europäisches. Auch der Niedergang der Landwirtschaft, bedingt dadurch, dass vorrangig die großen Landwirtschaftsfabriken von der EU gefördert werden und kaum noch jemand bereit ist, diese Arbeit zu machen, ein Leben ohne Urlaub zu leben. Dazu kommen dann noch Menschen aus der Stadt, die sich zurückziehen wollen, weil sie auf alle beleidigt sind oder vielleicht sogar einen Hass auf die Gesellschaft haben, die ziehen dann auch noch aufs Land. Da sammelt sich etwas an, was es in Amerika in manchen Gegenden schon länger gibt, so eine Konzentration verhaltensauffälliger Menschen. Das kann man ja auch positiv sehen, da ist noch Platz für sie. Was ich unbedingt erzählen wollte, ist, dass die Menschen am Land keine böseren sind als in der Stadt. Ich kenne sie ja seit meiner Kindheit und finde, es sind mehr so Elefanten im Porzellanladen. Das ist sozusagen meine Lebenserfahrung mit dem Land: Ich musste immer aufpassen, dass es nicht zu grob wurde für mich.“

Josef Hader ist hauptberuflich Kabarettist und wurde mit allen wichtigen deutschsprachigen Kleinkunstpreisen ausgezeichnet. (Foto wega film)
Josef Hader ist hauptberuflich Kabarettist und wurde mit allen wichtigen deutschsprachigen Kleinkunstpreisen ausgezeichnet. (Foto wega film)

Die Hauptfigur Andrea, die als Polizistin am Karrieresprung steht, wird vom Schicksal in die Bredouille gebracht. Wollten Sie von Beginn an eine weibliche Hauptfigur? Birgit Minichmayr verkörpert eine Frau, die völlig undurchschaubar ist. Was haben Sie von ihrem Spiel erwartet? Wie haben Sie gemeinsam die Rolle dieser hermetischen Figur erarbeitet? Worin sehen Sie die Stärken der Schauspielerin Birgit Minichmayr?
JOSEF HADER: Eine Frau als Hauptfigur wollte ich unbedingt, das ist auf dem Land ja viel spannender als ein Mann, ganz einfach deswegen, weil es Frauen auf dem Land immer noch schwerer haben als Männer, wenn sie selbstbestimmt leben wollen. Da braucht man dann immer eine Taktik, wie man sich gegen die Männer durchsetzen kann. Andrea verzichtet komplett auf die traditionellen, sogenannten „weiblichen“ Mittel, die einer Frau auf dem Land zur Verfügung stünden. Birgit Minichmayr marschiert wie ein Cowboy durch den Film, man könnte fast sagen, wie ein kleiner Soldat. Sie lässt ihre Gefühle nicht heraushängen, sie ist so undurchschaubar, wie es früher im Film nur die Männer sein durften. Sowas in der Art stellt man sich vor beim Drehbuchschreiben, aber wie Birgit Minichmayr das dann macht, das kann man sich vorher nicht vorstellen, das ist das, was eine große Schauspielerin ausmacht.

Man weiß ja in der Tat nicht, was in ihr vorgeht.
JOSEF HADER: Das können nur wenige, ganz inwendig spielen, aber so, dass es immer knistert und spannend bleibt. Birgit Minichmayr und ich, wir kennen uns seit Der Knochenmann und wir wissen, dass wir gut harmonieren. Ich hatte sie beim Schreiben immer im Kopf und gehofft, dass ihr das Buch gefällt. Sie ist ja eine Schauspielerin, die alles kann, die aber nicht alles spielt. Das ist ganz wichtig, zumindest bei mir, dass sich die Schauspieler:innen ins Drehbuch einmischen, das ja nur eine Vorlage ist. Die beste Kritik an einem Drehbuch kommt von klugen Schauspieler:innen. Birgit und der ganze Cast haben der Geschichte noch einmal etwas dazugegeben, was ich mir nie vorstellen hätte können. Das ist eigentlich das Schönste an so einer Filmarbeit, die ja sonst oft sehr mühsam ist.

Josef Hader: "Birgit Minichmayr und ich kennen uns seit "Der Knochenmann" und wir wissen, dass wir gut harmonieren. Die 'Andrea' so zu spielen können nur wenige, ganz inwendig spielen, aber so, dass es immer knistert und spannend bleibt. (Foto wega Film)
Josef Hader: „Birgit Minichmayr und ich kennen uns seit „Der Knochenmann“ und wir wissen, dass wir gut harmonieren. Die ‚Andrea‘ so zu spielen können nur wenige, ganz inwendig spielen, aber so, dass es immer knistert und spannend bleibt. (Foto wega Film)

Sich selbst haben Sie wieder eine Figur auf den Leib geschrieben, die einer alten, schwindenden, wenn nicht schon verschwundenen Welt angehört: Der Religionslehrer Leitner glaubt noch zu wissen, wo in St. Pölten die Plattenläden zu finden sind und ist im Dorf einer, der nicht dazu gehört. Er spielt aber auch eine ambivalente Figur, die möglicherweise eine Art Doppelleben führt.
JOSEF HADER: Ja, er ist oft in der Nacht unterwegs und treibt sich in einer Single-Disco herum. Aber wahrscheinlich ist er gar nicht so abgründig, wie man denken könnte, sondern hat sich schlicht versoffen. Vielleicht, weil er zu nett war für das Landleben. Vielleicht wär mir dasselbe passiert, wenn ich auf dem Land geblieben wäre. Franz Leitner ist ein Außenseiter, einer, der nicht erfüllt, was Männer am Land können müssen. Wahrscheinlich wolle er das auch nicht, er kann ja ganz schön trotzig sein. Er findet das nicht schlimm. Er hat keinen Karriereplan, nicht so wie Andrea. Er ist ziemlich einsam und durch das, was ihm im Film widerfährt, lebt er wieder auf. Er ist froh, dass wieder irgend etwas los ist in seinem Leben. Er glaubt, eine große Schuld auf sich geladen zu haben, aber mit Schuld kann er ja umgehen als katholischer Religionslehrer. Er hat mit Andrea nichts gemeinsam, er ist viel zu alt, um ein Love Interest zu sein und viel zu kaputt, um einen guten Ratgeber abgeben zu können. Aber es gibt wohl einen Punkt, wo zwei Außenseiter einander helfen können – allein durch die Tatsache, dass sie beide Außenseiter sind.

Josef Hader - Erfolge "Wilde Maus" und "Vor der Morgenröte" -  ist zurück im Kino und präsentiert dem Publikum erneut seinen berühmten lakonischen Humor. (Foto Stefan Fürtbauer)
Josef Hader – Erfolge „Wilde Maus“ und „Vor der Morgenröte“ –  ist zurück im Kino und präsentiert dem Publikum erneut seinen berühmten lakonischen Humor. (Foto Stefan Fürtbauer)

Josef Hader Regie, Drehbuch und als Franz Josef Hader, geboren 1962 in Waldhausen (Oberösterreich), ist seit 1985 hauptberuflich Kabarettist und wurde mit allen wichtigen deutschsprachigen Kleinkunstpreisen ausgezeichnet. Mit den Programmen BUNTER ABEND (1990), IM KELLER (1992) und PRIVAT (1994) entwickelte er sein Kabarett hin zu durchgehenden assoziativen Monologen. Dabei verwendete er gerne Mittel des „Unsichtbaren Theaters“, bei dem angebliche technische Pannen, Störungen, manchmal sogar Zwischenrufe aus dem Publikum Teil der Inszenierung sind. PRIVAT wurde mit etwa 500.000 Zuschauerinnen und Zuschauern das erfolgreichste Kabarettprogramm Österreichs.
In seinem Programm HADER MUSS WEG (2004) ließ Hader die Grenzen zwischen Kabarett, Theater und Film verschwimmen. Er schlüpfte in sieben Rollen, verwendete filmische Mittel wie Nahaufnahme und Score-Musik und ließ die ersten dreißig Minuten mit einer Kamera aus der Garderobe übertragen. In HADER ON ICE (2021) nutzt Hader ein Mittel der angloamerikanischen Comedy, den „Drunken Act“, als Ausgangspunkt für eine rasende Tour de Force durch alle Abgründe der Nach-Corona-Gesellschaft. Seit Anfang der Neunzigerjahre unternimmt Hader immer wieder erfolgreiche Ausflüge ins Filmfach als Schauspieler und Drehbuchautor, zuletzt auch als Regisseur.

Den Grundstein für seine Filmkarriere legte Hader 1993 mit dem Spielfilm INDIEN, für den er mit Co-Hauptdarsteller Alfred Dorfer und Regisseur Paul Harather gemeinsam das Drehbuch schrieb. Der Film wurde u.a. mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet und gilt bis heute als einer der bekanntesten und erfolgreichsten österreichischen Filme. Mit DER ÜBERFALL von Florian Flicker gewann Josef Hader 2000 beim Internationalen Filmfestival von Locarno den Darstellerpreis. Bis heute konzentriert Josef Hader seine Film- und Fernsehauftritte auf wenige Projekte, oft und besonders gern auf solche, bei denen er die Gelegenheit hat, auch Autor zu sein. So schlüpfte er 2000 bei KOMM, SÜSSER TOD erstmals in die Rolle des Wolf Haas-Helden Simon Brenner. Er schrieb bei allen vier Brenner-Verfilmungen, zu denen noch SILENTIUM (2004), DER KNOCHENMANN (2009) und zuletzt DAS EWIGE LEBEN (2015) gehören, gemeinsam mit Regisseur Wolfgang Murnberger und Autor Wolf Haas die Drehbücher. Für den Fernsehfilm EIN HALBES LEBEN von Nikolaus Leytner wurde er 2009 mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Adolf Grimme-Preis ausgezeichnet. 11 Für das gemeinsame TV-Projekt AUFSCHNEIDER, in dem er den zynischen Pathologen Dr. Fuhrmann spielt, verfasste Hader mit David Schalko das Drehbuch. 2016 glänzte Hader in der Rolle des Stefan Zweig in dem viel beachteten, mehrfach ausgezeichneten Biopic VOR DER MORGENRÖTE (Regie: Maria Schrader). Haders Verkörperung des österreichischen Schriftstellers brachte ihm 2016 den Preis der deutschen Filmkritik als „Bester Darsteller“ sowie eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis 2017 ein. Mit seinem Regiedebüt WILDE MAUS, für das er nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch die Hauptrolle übernahm, wurde Josef Hader 2017 in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen. Der Film erreichte in Österreich und Deutschland zusammen über eine halbe Million Zuschauerinnen und Zuschauer.

Großes Beitragsfoto: Josef Hader – Erfolge „Wilde Maus“ und „Vor der Morgenröte“ –  ist zurück im Kino und präsentiert dem Publikum erneut seinen berühmten lakonischen Humor. Mit Thomas Schubert und Birgit Minichmayr. (Foto wega film)

 

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